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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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trasten heben wollte; zum Theil muß auf jene
ein edler Mann, der bisher sich in den Schmerz
warf, ohne dessen Tiefe zu messen und der im¬
mer seine Kraft, durch das Leben zu schwim¬
men, fühlen wollte, nothwendig gerathen, wenn
er innen wird, daß sich der Schwerpunkt seiner
Seeligkeit und seiner Hölle verrückt, und aus
seinem Ich in ein fremdes begeben habe. "O
wenn sie stürbe?" fragt' er sich. Er hatt' es
nicht gewohnt, vor irgend einem Tode so zu
erschrecken wie vor diesem. Daher faßte er die¬
se Disteln der Phantasie recht scharf in die
Hand, um sie zu zerdrücken. Am Ende, da die
reine Landluft der Liebe und der Schäfertanz
in diesem Arkadien immer mehr Rosen auf
Lianens Wangen brachten, so hörten seine Di¬
steln zu wachsen auf.

Allen übrigen Ottern des Lebens -- sobald
sie nur keinen Durchgang durch Lianens Herz
sich machen konnten -- war er unzugänglich.
Um jeden Preis, -- und sollte er Alles verlas¬
sen, entbehren, erzürnen, unternehmen -- wollt'
er Lianen erkaufen. Die Schreckgespenster, die
ihm aus zwei Häusern, Froulays und Gaspards,

traſten heben wollte; zum Theil muß auf jene
ein edler Mann, der bisher ſich in den Schmerz
warf, ohne deſſen Tiefe zu meſſen und der im¬
mer ſeine Kraft, durch das Leben zu ſchwim¬
men, fühlen wollte, nothwendig gerathen, wenn
er innen wird, daß ſich der Schwerpunkt ſeiner
Seeligkeit und ſeiner Hölle verrückt, und aus
ſeinem Ich in ein fremdes begeben habe. „O
wenn ſie ſtürbe?“ fragt' er ſich. Er hatt' es
nicht gewohnt, vor irgend einem Tode ſo zu
erſchrecken wie vor dieſem. Daher faßte er die¬
ſe Diſteln der Phantaſie recht ſcharf in die
Hand, um ſie zu zerdrücken. Am Ende, da die
reine Landluft der Liebe und der Schäfertanz
in dieſem Arkadien immer mehr Roſen auf
Lianens Wangen brachten, ſo hörten ſeine Di¬
ſteln zu wachſen auf.

Allen übrigen Ottern des Lebens — ſobald
ſie nur keinen Durchgang durch Lianens Herz
ſich machen konnten — war er unzugänglich.
Um jeden Preis, — und ſollte er Alles verlaſ¬
ſen, entbehren, erzürnen, unternehmen — wollt'
er Lianen erkaufen. Die Schreckgeſpenſter, die
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[12/0024] traſten heben wollte; zum Theil muß auf jene ein edler Mann, der bisher ſich in den Schmerz warf, ohne deſſen Tiefe zu meſſen und der im¬ mer ſeine Kraft, durch das Leben zu ſchwim¬ men, fühlen wollte, nothwendig gerathen, wenn er innen wird, daß ſich der Schwerpunkt ſeiner Seeligkeit und ſeiner Hölle verrückt, und aus ſeinem Ich in ein fremdes begeben habe. „O wenn ſie ſtürbe?“ fragt' er ſich. Er hatt' es nicht gewohnt, vor irgend einem Tode ſo zu erſchrecken wie vor dieſem. Daher faßte er die¬ ſe Diſteln der Phantaſie recht ſcharf in die Hand, um ſie zu zerdrücken. Am Ende, da die reine Landluft der Liebe und der Schäfertanz in dieſem Arkadien immer mehr Roſen auf Lianens Wangen brachten, ſo hörten ſeine Di¬ ſteln zu wachſen auf. Allen übrigen Ottern des Lebens — ſobald ſie nur keinen Durchgang durch Lianens Herz ſich machen konnten — war er unzugänglich. Um jeden Preis, — und ſollte er Alles verlaſ¬ ſen, entbehren, erzürnen, unternehmen — wollt' er Lianen erkaufen. Die Schreckgeſpenſter, die ihm aus zwei Häuſern, Froulays und Gaſpards,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/24>, abgerufen am 21.11.2024.