Vermuthlich sollte das die Höllengöttin be¬ wegen, einmal dem niesenden Mahler zu sitzen. Albano mußte mitten im tiefen Schmerze er¬ staunen. Anfangs hatt' er nach seiner einfachen Natur geglaubt, er selber sey unter dem Ha¬ nus verstanden.
Jetzt kam Schoppe. Sanft sagte Albano zuerst: "ich habe auch dein Tagebuch gelesen." Der Bibliothekar fuhr mit einem Exklama¬ zions-Fluche zurück und sah glühend zum Fen¬ ster hinaus. "Was ist, Schoppe?" fragte sein Freund. Er drehte sich um, sah ihn starr an, und sagte, die Gesichtshaut auseinander rin¬ gelnd, wie einer, der sich die Zähne putzt, und die Oberlippe aufziehend, wie ein Knabe, der in ein Butterbrod beißet: "ich liebe." und lief im Feuer die Stube auf und ab, klagend da¬ bei, daß er noch so etwas an sich erleben müsse in seinen ältesten Tagen. -- "Lies mein Tage¬ buch nicht mehr (fuhr er fort). Frage nach keinem Namen, Bruder; kein Teufel, kein Engel, nicht die Höllengöttin darf ihn wissen -- Einst viel¬ leicht, wenn ich und Sie in Abrahams Schoos
Vermuthlich ſollte das die Höllengöttin be¬ wegen, einmal dem nieſenden Mahler zu ſitzen. Albano mußte mitten im tiefen Schmerze er¬ ſtaunen. Anfangs hatt' er nach ſeiner einfachen Natur geglaubt, er ſelber ſey unter dem Ha¬ nus verſtanden.
Jetzt kam Schoppe. Sanft ſagte Albano zuerſt: „ich habe auch dein Tagebuch geleſen.“ Der Bibliothekar fuhr mit einem Exklama¬ zions-Fluche zurück und ſah glühend zum Fen¬ ſter hinaus. „Was iſt, Schoppe?“ fragte ſein Freund. Er drehte ſich um, ſah ihn ſtarr an, und ſagte, die Geſichtshaut auseinander rin¬ gelnd, wie einer, der ſich die Zähne putzt, und die Oberlippe aufziehend, wie ein Knabe, der in ein Butterbrod beißet: „ich liebe.“ und lief im Feuer die Stube auf und ab, klagend da¬ bei, daß er noch ſo etwas an ſich erleben müſſe in ſeinen älteſten Tagen. — „Lies mein Tage¬ buch nicht mehr (fuhr er fort). Frage nach keinem Namen, Bruder; kein Teufel, kein Engel, nicht die Höllengöttin darf ihn wiſſen — Einſt viel¬ leicht, wenn ich und Sie in Abrahams Schoos
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0360"n="348"/><p>Vermuthlich ſollte das die Höllengöttin be¬<lb/>
wegen, einmal dem nieſenden Mahler zu ſitzen.<lb/>
Albano mußte mitten im tiefen Schmerze er¬<lb/>ſtaunen. Anfangs hatt' er nach ſeiner einfachen<lb/>
Natur geglaubt, er ſelber ſey unter dem Ha¬<lb/>
nus verſtanden.</p><lb/><p>Jetzt kam Schoppe. Sanft ſagte Albano<lb/>
zuerſt: „ich habe auch dein Tagebuch geleſen.“<lb/>
Der Bibliothekar fuhr mit einem Exklama¬<lb/>
zions-Fluche zurück und ſah glühend zum Fen¬<lb/>ſter hinaus. „Was iſt, Schoppe?“ fragte ſein<lb/>
Freund. Er drehte ſich um, ſah ihn ſtarr an,<lb/>
und ſagte, die Geſichtshaut auseinander rin¬<lb/>
gelnd, wie einer, der ſich die Zähne putzt, und<lb/>
die Oberlippe aufziehend, wie ein Knabe, der<lb/>
in ein Butterbrod beißet: „ich liebe.“ und lief<lb/>
im Feuer die Stube auf und ab, klagend da¬<lb/>
bei, daß er noch ſo etwas an ſich erleben müſſe<lb/>
in ſeinen älteſten Tagen. —„Lies mein Tage¬<lb/>
buch nicht mehr (fuhr er fort). Frage nach keinem<lb/>
Namen, Bruder; kein Teufel, kein Engel, nicht<lb/>
die Höllengöttin darf ihn wiſſen — Einſt viel¬<lb/>
leicht, wenn ich und Sie in Abrahams Schoos<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[348/0360]
Vermuthlich ſollte das die Höllengöttin be¬
wegen, einmal dem nieſenden Mahler zu ſitzen.
Albano mußte mitten im tiefen Schmerze er¬
ſtaunen. Anfangs hatt' er nach ſeiner einfachen
Natur geglaubt, er ſelber ſey unter dem Ha¬
nus verſtanden.
Jetzt kam Schoppe. Sanft ſagte Albano
zuerſt: „ich habe auch dein Tagebuch geleſen.“
Der Bibliothekar fuhr mit einem Exklama¬
zions-Fluche zurück und ſah glühend zum Fen¬
ſter hinaus. „Was iſt, Schoppe?“ fragte ſein
Freund. Er drehte ſich um, ſah ihn ſtarr an,
und ſagte, die Geſichtshaut auseinander rin¬
gelnd, wie einer, der ſich die Zähne putzt, und
die Oberlippe aufziehend, wie ein Knabe, der
in ein Butterbrod beißet: „ich liebe.“ und lief
im Feuer die Stube auf und ab, klagend da¬
bei, daß er noch ſo etwas an ſich erleben müſſe
in ſeinen älteſten Tagen. — „Lies mein Tage¬
buch nicht mehr (fuhr er fort). Frage nach keinem
Namen, Bruder; kein Teufel, kein Engel, nicht
die Höllengöttin darf ihn wiſſen — Einſt viel¬
leicht, wenn ich und Sie in Abrahams Schoos
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/360>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.