Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

blitzenden drei Kaskatellen -- fieng Albano be¬
wegt und begeistert an: "ich habe nur Einen
Grund, liebe Schwester -- ich bin noch nichts --
ich bin kein Dichter, kein Künstler, kein Philo¬
soph, sondern nichts, nehmlich ein Graf. Ich
habe aber Kräfte zu manchem, warum soll ichs
nicht sagen? -- Wahrlich wenn ein Da Vinci
alles ist, oder ein Crichton, oder wenn ein Ri¬
chelieu, ob er gleich den politischen Thron be¬
hauptet, doch noch den poetischen besteigen
will: soll ein anderer mit kleinern Wünschen
nicht entschuldigt seyn? -- Und bei Gott! ei¬
gentlich will ein Mensch doch alles weiden,
denn er kann nicht anders, er sehnet und treibt
sich dazu hin und das innige versteckte Herz
weint Blutstropfen, die keine Menschenhand ab¬
trocknet, nur die hohen Eisenschranken der Noth¬
wendigkeit halten ihn auf -- Schwester, Linda,
was hab' ich denn noch gethan auf der Erde?" --

"Diese Frage; -- und diese ist genug vor
Gott," sagte Julienne, bewegt von der wund¬
stolzen Bescheidenheit des Jünglings und von
seiner schönen Stimme, welche zornig so klang
wie gerührt. "Worte! was sind Worte? (sagt'

blitzenden drei Kaskatellen — fieng Albano be¬
wegt und begeiſtert an: „ich habe nur Einen
Grund, liebe Schweſter — ich bin noch nichts —
ich bin kein Dichter, kein Künſtler, kein Philo¬
ſoph, ſondern nichts, nehmlich ein Graf. Ich
habe aber Kräfte zu manchem, warum ſoll ichs
nicht ſagen? — Wahrlich wenn ein Da Vinci
alles iſt, oder ein Crichton, oder wenn ein Ri¬
chelieu, ob er gleich den politiſchen Thron be¬
hauptet, doch noch den poetiſchen beſteigen
will: ſoll ein anderer mit kleinern Wünſchen
nicht entſchuldigt ſeyn? — Und bei Gott! ei¬
gentlich will ein Menſch doch alles weiden,
denn er kann nicht anders, er ſehnet und treibt
ſich dazu hin und das innige verſteckte Herz
weint Blutstropfen, die keine Menſchenhand ab¬
trocknet, nur die hohen Eiſenſchranken der Noth¬
wendigkeit halten ihn auf — Schweſter, Linda,
was hab' ich denn noch gethan auf der Erde?“ —

„Dieſe Frage; — und dieſe iſt genug vor
Gott,“ ſagte Julienne, bewegt von der wund¬
ſtolzen Beſcheidenheit des Jünglings und von
ſeiner ſchönen Stimme, welche zornig ſo klang
wie gerührt. „Worte! was ſind Worte? (ſagt'

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0229" n="217"/>
blitzenden drei Kaskatellen &#x2014; fieng Albano be¬<lb/>
wegt und begei&#x017F;tert an: &#x201E;ich habe nur Einen<lb/>
Grund, liebe Schwe&#x017F;ter &#x2014; ich bin noch nichts &#x2014;<lb/>
ich bin kein Dichter, kein Kün&#x017F;tler, kein Philo¬<lb/>
&#x017F;oph, &#x017F;ondern nichts, nehmlich ein Graf. Ich<lb/>
habe aber Kräfte zu manchem, warum &#x017F;oll ichs<lb/>
nicht &#x017F;agen? &#x2014; Wahrlich wenn ein Da Vinci<lb/>
alles i&#x017F;t, oder ein Crichton, oder wenn ein Ri¬<lb/>
chelieu, ob er gleich den politi&#x017F;chen Thron be¬<lb/>
hauptet, doch noch den poeti&#x017F;chen be&#x017F;teigen<lb/>
will: &#x017F;oll ein anderer mit kleinern Wün&#x017F;chen<lb/>
nicht ent&#x017F;chuldigt &#x017F;eyn? &#x2014; Und bei Gott! ei¬<lb/>
gentlich will ein Men&#x017F;ch doch alles weiden,<lb/>
denn er kann nicht anders, er &#x017F;ehnet und treibt<lb/>
&#x017F;ich dazu hin und das innige ver&#x017F;teckte Herz<lb/>
weint Blutstropfen, die keine Men&#x017F;chenhand ab¬<lb/>
trocknet, nur die hohen Ei&#x017F;en&#x017F;chranken der Noth¬<lb/>
wendigkeit halten ihn auf &#x2014; Schwe&#x017F;ter, Linda,<lb/>
was hab' ich denn noch gethan auf der Erde?&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die&#x017F;e Frage; &#x2014; und die&#x017F;e i&#x017F;t genug vor<lb/>
Gott,&#x201C; &#x017F;agte Julienne, bewegt von der wund¬<lb/>
&#x017F;tolzen Be&#x017F;cheidenheit des Jünglings und von<lb/>
&#x017F;einer &#x017F;chönen Stimme, welche zornig &#x017F;o klang<lb/>
wie gerührt. &#x201E;Worte! was &#x017F;ind Worte? (&#x017F;agt'<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0229] blitzenden drei Kaskatellen — fieng Albano be¬ wegt und begeiſtert an: „ich habe nur Einen Grund, liebe Schweſter — ich bin noch nichts — ich bin kein Dichter, kein Künſtler, kein Philo¬ ſoph, ſondern nichts, nehmlich ein Graf. Ich habe aber Kräfte zu manchem, warum ſoll ichs nicht ſagen? — Wahrlich wenn ein Da Vinci alles iſt, oder ein Crichton, oder wenn ein Ri¬ chelieu, ob er gleich den politiſchen Thron be¬ hauptet, doch noch den poetiſchen beſteigen will: ſoll ein anderer mit kleinern Wünſchen nicht entſchuldigt ſeyn? — Und bei Gott! ei¬ gentlich will ein Menſch doch alles weiden, denn er kann nicht anders, er ſehnet und treibt ſich dazu hin und das innige verſteckte Herz weint Blutstropfen, die keine Menſchenhand ab¬ trocknet, nur die hohen Eiſenſchranken der Noth¬ wendigkeit halten ihn auf — Schweſter, Linda, was hab' ich denn noch gethan auf der Erde?“ — „Dieſe Frage; — und dieſe iſt genug vor Gott,“ ſagte Julienne, bewegt von der wund¬ ſtolzen Beſcheidenheit des Jünglings und von ſeiner ſchönen Stimme, welche zornig ſo klang wie gerührt. „Worte! was ſind Worte? (ſagt'

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/229
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/229>, abgerufen am 23.11.2024.