Junker. Du guter Küher! der Mann be- kömmt eine schöne Matte und Futter genug für die Kuh.
Küher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl geht, wenn sie doch fort muß.
Junker. Sey nur zufrieden, Küher! Es soll ihr nich[t] fehlen.
Der Küher futterte die Kuh, und seufzete bey sich selber, daß sein Herr die schönste im Stall wegschenkte. Er nahm auch sein Morgenbrod und Salz, gab alles dem Fleck, und sagte dann zum Jungen:
Nimm deinen Sonntagsrock und ein sauberes Hemd; strehle dich, und putze dir deine Schuhe, du mußst den Fleck nach Bonnal führen.
Und der Junge that, was der Küher ihm sagte, und führte die Kuh ab.
Arner sann jezt eine Weile still und ernsthaft dem Urtheil nach, welches er über den Vogt fällen wollte. Wie ein Vater, wenn er seinen wilden, ausartenden Knaben einsperrt und züchtigt -- nichts sucht, als das Wohl seines Kindes -- wie es dem Vater an's Herz geht, daß er strafen muß -- wie er lieber verschonen und lieber belohnen würde; wie er seine Wehmuth in seinen Stra- fen so väterlich äussert, und durch seine Liebe mit- ten im Strafen seinen Kindern noch mehr, als durch die Strafe selber, an's Herz greift.
So,
Junker. Du guter Kuͤher! der Mann be- koͤmmt eine ſchoͤne Matte und Futter genug fuͤr die Kuh.
Kuͤher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl geht, wenn ſie doch fort muß.
Junker. Sey nur zufrieden, Kuͤher! Es ſoll ihr nich[t] fehlen.
Der Kuͤher futterte die Kuh, und ſeufzete bey ſich ſelber, daß ſein Herr die ſchoͤnſte im Stall wegſchenkte. Er nahm auch ſein Morgenbrod und Salz, gab alles dem Fleck, und ſagte dann zum Jungen:
Nimm deinen Sonntagsrock und ein ſauberes Hemd; ſtrehle dich, und putze dir deine Schuhe, du mußſt den Fleck nach Bonnal fuͤhren.
Und der Junge that, was der Kuͤher ihm ſagte, und fuͤhrte die Kuh ab.
Arner ſann jezt eine Weile ſtill und ernſthaft dem Urtheil nach, welches er uͤber den Vogt faͤllen wollte. Wie ein Vater, wenn er ſeinen wilden, ausartenden Knaben einſperrt und zuͤchtigt — nichts ſucht, als das Wohl ſeines Kindes — wie es dem Vater an’s Herz geht, daß er ſtrafen muß — wie er lieber verſchonen und lieber belohnen wuͤrde; wie er ſeine Wehmuth in ſeinen Stra- fen ſo vaͤterlich aͤuſſert, und durch ſeine Liebe mit- ten im Strafen ſeinen Kindern noch mehr, als durch die Strafe ſelber, an’s Herz greift.
So,
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Junker. Du guter Kuͤher! der Mann be-
koͤmmt eine ſchoͤne Matte und Futter genug fuͤr
die Kuh.
Kuͤher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl
geht, wenn ſie doch fort muß.
Junker. Sey nur zufrieden, Kuͤher! Es ſoll
ihr nicht fehlen.
Der Kuͤher futterte die Kuh, und ſeufzete
bey ſich ſelber, daß ſein Herr die ſchoͤnſte im Stall
wegſchenkte. Er nahm auch ſein Morgenbrod und
Salz, gab alles dem Fleck, und ſagte dann zum
Jungen:
Nimm deinen Sonntagsrock und ein ſauberes
Hemd; ſtrehle dich, und putze dir deine Schuhe,
du mußſt den Fleck nach Bonnal fuͤhren.
Und der Junge that, was der Kuͤher ihm ſagte,
und fuͤhrte die Kuh ab.
Arner ſann jezt eine Weile ſtill und ernſthaft
dem Urtheil nach, welches er uͤber den Vogt faͤllen
wollte. Wie ein Vater, wenn er ſeinen wilden,
ausartenden Knaben einſperrt und zuͤchtigt —
nichts ſucht, als das Wohl ſeines Kindes — wie
es dem Vater an’s Herz geht, daß er ſtrafen muß —
wie er lieber verſchonen und lieber belohnen
wuͤrde; wie er ſeine Wehmuth in ſeinen Stra-
fen ſo vaͤterlich aͤuſſert, und durch ſeine Liebe mit-
ten im Strafen ſeinen Kindern noch mehr, als durch
die Strafe ſelber, an’s Herz greift.
So,
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/351>, abgerufen am 22.11.2024.
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