Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

an Leib und Seel alles Gute angewünscht"
-- sagte izt der Pfarrer.

Der Vogt sah ihn mit offenen steiffen Au-
gen an, und zeigte ohne zu reden aus seinem
starren Blik, daß er das nicht glaube, was
der Pfarrer sagte.

Dieser sah es, und sagte dann wieder:
"Vogt, du must an dem, was ich sage,
nicht zweifeln -- Der Rudi ist völlig um
deßwillen da, dir es zu sagen, was sie ihm
deinetwegen auf dem Todbett befohlen." --

Da wandte sich der Vogt an den Rudi,
und sagte mit Wehmuth und Aengstlichkeit:
"Hat sie dir auf ihrem Todbett meinetwegen
etwas befohlen?

Rudi. Ja, Vogt, und es wird dich ge-
wiß freuen, ich will dirs mit ihren Worten
sagen.

Vogt. Sags doch -- sags doch!

Rudi. Sie sagte: Wenn ich todt bin,
und begraben, so gehe zum Vogt hin, und
sag ihm, daß ich mit versöhntem Herzen ge-
gen ihn gestorben, und Gott bethe, daß es
ihm wohl gehe, und er noch zur Erkenntniß
seiner selbst komme, eh denn er von hinnen
scheide.

Der Vogt stand eine Weile sprachlos --
Thränen fielen von seinen Augen -- dann
sagte er:

"Lohn's
G

an Leib und Seel alles Gute angewuͤnſcht“
— ſagte izt der Pfarrer.

Der Vogt ſah ihn mit offenen ſteiffen Au-
gen an, und zeigte ohne zu reden aus ſeinem
ſtarren Blik, daß er das nicht glaube, was
der Pfarrer ſagte.

Dieſer ſah es, und ſagte dann wieder:
„Vogt, du muſt an dem, was ich ſage,
nicht zweifeln — Der Rudi iſt voͤllig um
deßwillen da, dir es zu ſagen, was ſie ihm
deinetwegen auf dem Todbett befohlen.“ —

Da wandte ſich der Vogt an den Rudi,
und ſagte mit Wehmuth und Aengſtlichkeit:
„Hat ſie dir auf ihrem Todbett meinetwegen
etwas befohlen?

Rudi. Ja, Vogt, und es wird dich ge-
wiß freuen, ich will dirs mit ihren Worten
ſagen.

Vogt. Sags doch — ſags doch!

Rudi. Sie ſagte: Wenn ich todt bin,
und begraben, ſo gehe zum Vogt hin, und
ſag ihm, daß ich mit verſoͤhntem Herzen ge-
gen ihn geſtorben, und Gott bethe, daß es
ihm wohl gehe, und er noch zur Erkenntniß
ſeiner ſelbſt komme, eh denn er von hinnen
ſcheide.

Der Vogt ſtand eine Weile ſprachlos —
Thraͤnen fielen von ſeinen Augen — dann
ſagte er:

„Lohn's
G
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0115" n="97"/>
an Leib und Seel alles Gute angewu&#x0364;n&#x017F;cht&#x201C;<lb/>
&#x2014; &#x017F;agte izt der Pfarrer.</p><lb/>
          <p>Der Vogt &#x017F;ah ihn mit offenen &#x017F;teiffen Au-<lb/>
gen an, und zeigte ohne zu reden aus &#x017F;einem<lb/>
&#x017F;tarren Blik, daß er das nicht glaube, was<lb/>
der Pfarrer &#x017F;agte.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er &#x017F;ah es, und &#x017F;agte dann wieder:<lb/>
&#x201E;Vogt, du mu&#x017F;t an dem, was ich &#x017F;age,<lb/>
nicht zweifeln &#x2014; Der Rudi i&#x017F;t vo&#x0364;llig um<lb/>
deßwillen da, dir es zu &#x017F;agen, was &#x017F;ie ihm<lb/>
deinetwegen auf dem Todbett befohlen.&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Da wandte &#x017F;ich der Vogt an den Rudi,<lb/>
und &#x017F;agte mit Wehmuth und Aeng&#x017F;tlichkeit:<lb/>
&#x201E;Hat &#x017F;ie dir auf ihrem Todbett meinetwegen<lb/>
etwas befohlen?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Rudi.</hi> Ja, Vogt, und es wird dich ge-<lb/>
wiß freuen, ich will dirs mit ihren Worten<lb/>
&#x017F;agen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Vogt.</hi> Sags doch &#x2014; &#x017F;ags doch!</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Rudi.</hi> Sie &#x017F;agte: Wenn ich todt bin,<lb/>
und begraben, &#x017F;o gehe zum Vogt hin, und<lb/>
&#x017F;ag ihm, daß ich mit ver&#x017F;o&#x0364;hntem Herzen ge-<lb/>
gen ihn ge&#x017F;torben, und Gott bethe, daß es<lb/>
ihm wohl gehe, und er noch zur Erkenntniß<lb/>
&#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t komme, eh denn er von hinnen<lb/>
&#x017F;cheide.</p><lb/>
          <p>Der Vogt &#x017F;tand eine Weile &#x017F;prachlos &#x2014;<lb/>
Thra&#x0364;nen fielen von &#x017F;einen Augen &#x2014; dann<lb/>
&#x017F;agte er:</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">G</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Lohn's</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0115] an Leib und Seel alles Gute angewuͤnſcht“ — ſagte izt der Pfarrer. Der Vogt ſah ihn mit offenen ſteiffen Au- gen an, und zeigte ohne zu reden aus ſeinem ſtarren Blik, daß er das nicht glaube, was der Pfarrer ſagte. Dieſer ſah es, und ſagte dann wieder: „Vogt, du muſt an dem, was ich ſage, nicht zweifeln — Der Rudi iſt voͤllig um deßwillen da, dir es zu ſagen, was ſie ihm deinetwegen auf dem Todbett befohlen.“ — Da wandte ſich der Vogt an den Rudi, und ſagte mit Wehmuth und Aengſtlichkeit: „Hat ſie dir auf ihrem Todbett meinetwegen etwas befohlen? Rudi. Ja, Vogt, und es wird dich ge- wiß freuen, ich will dirs mit ihren Worten ſagen. Vogt. Sags doch — ſags doch! Rudi. Sie ſagte: Wenn ich todt bin, und begraben, ſo gehe zum Vogt hin, und ſag ihm, daß ich mit verſoͤhntem Herzen ge- gen ihn geſtorben, und Gott bethe, daß es ihm wohl gehe, und er noch zur Erkenntniß ſeiner ſelbſt komme, eh denn er von hinnen ſcheide. Der Vogt ſtand eine Weile ſprachlos — Thraͤnen fielen von ſeinen Augen — dann ſagte er: „Lohn's G

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/115
Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/115>, abgerufen am 24.11.2024.