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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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sie vor Freuden nicht reden konnte: Eine
Weile wainten beyde mit einander, und es
gieng recht lang, eh Eines das Andre nur
fragen konnte, wie es ihm auch gegangen.

Nach und nach aber erhollten sie sich, u.
erzählten dann fast die ganze Nacht durch ein-
ander, was vorgefallen.

Zuerst sagte der Vogt, wie gut der Pfar-
rer mit ihm sey, und wie gern er ihn diese
Nacht heim gelassen: dann fragte er bald
darauf: "Aber wie gehts auch dir, Frau?
du hast diese zehn Tage so gar abgenoh-
men."

Sie antwortete: "Wie könnte es auch an-
derst seyn? wenns nur Gotts Will ist, daß
er mich bald zu sich nihmt."

Vogt. Wünsch doch das nicht: Es geht
wills Gott, von nun an besser.

Vögtin. O Mann! ich wünsche es für
dich und mich von Herzen, und mag dir den
Kopf nicht groß machen: Aber vom Besser-
gehen mag ich auch nicht hören -- Unsre
Zeit ist vorüber, und was uns vorsteht, ist
Jammer und Elend.

Vogt. Jch weiß es -- Aber wir wol-
len auf Gott trauen, und mit Geduld tra-
gen, was er uns zu tragen giebt.

Vögtin. Verblende dich doch nicht immer,
und glaube nicht, daß du jemals etwas ge-
duldig tragen werdest, was dich schwer dünkt.

ſie vor Freuden nicht reden konnte: Eine
Weile wainten beyde mit einander, und es
gieng recht lang, eh Eines das Andre nur
fragen konnte, wie es ihm auch gegangen.

Nach und nach aber erhollten ſie ſich, u.
erzaͤhlten dann faſt die ganze Nacht durch ein-
ander, was vorgefallen.

Zuerſt ſagte der Vogt, wie gut der Pfar-
rer mit ihm ſey, und wie gern er ihn dieſe
Nacht heim gelaſſen: dann fragte er bald
darauf: „Aber wie gehts auch dir, Frau?
du haſt dieſe zehn Tage ſo gar abgenoh-
men.“

Sie antwortete: „Wie koͤnnte es auch an-
derſt ſeyn? wenns nur Gotts Will iſt, daß
er mich bald zu ſich nihmt.“

Vogt. Wuͤnſch doch das nicht: Es geht
wills Gott, von nun an beſſer.

Voͤgtin. O Mann! ich wuͤnſche es fuͤr
dich und mich von Herzen, und mag dir den
Kopf nicht groß machen: Aber vom Beſſer-
gehen mag ich auch nicht hoͤren — Unſre
Zeit iſt voruͤber, und was uns vorſteht, iſt
Jammer und Elend.

Vogt. Jch weiß es — Aber wir wol-
len auf Gott trauen, und mit Geduld tra-
gen, was er uns zu tragen giebt.

Voͤgtin. Verblende dich doch nicht im̃er,
und glaube nicht, daß du jemals etwas ge-
duldig tragen werdeſt, was dich ſchwer duͤnkt.

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[106/0124] ſie vor Freuden nicht reden konnte: Eine Weile wainten beyde mit einander, und es gieng recht lang, eh Eines das Andre nur fragen konnte, wie es ihm auch gegangen. Nach und nach aber erhollten ſie ſich, u. erzaͤhlten dann faſt die ganze Nacht durch ein- ander, was vorgefallen. Zuerſt ſagte der Vogt, wie gut der Pfar- rer mit ihm ſey, und wie gern er ihn dieſe Nacht heim gelaſſen: dann fragte er bald darauf: „Aber wie gehts auch dir, Frau? du haſt dieſe zehn Tage ſo gar abgenoh- men.“ Sie antwortete: „Wie koͤnnte es auch an- derſt ſeyn? wenns nur Gotts Will iſt, daß er mich bald zu ſich nihmt.“ Vogt. Wuͤnſch doch das nicht: Es geht wills Gott, von nun an beſſer. Voͤgtin. O Mann! ich wuͤnſche es fuͤr dich und mich von Herzen, und mag dir den Kopf nicht groß machen: Aber vom Beſſer- gehen mag ich auch nicht hoͤren — Unſre Zeit iſt voruͤber, und was uns vorſteht, iſt Jammer und Elend. Vogt. Jch weiß es — Aber wir wol- len auf Gott trauen, und mit Geduld tra- gen, was er uns zu tragen giebt. Voͤgtin. Verblende dich doch nicht im̃er, und glaube nicht, daß du jemals etwas ge- duldig tragen werdeſt, was dich ſchwer duͤnkt.

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/124>, abgerufen am 24.11.2024.