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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Junker. Unter allen Schelmen, die da
sind, ist doch keiner um das Halbe verirret,
als du.

Siegrist. Es ist mir leid.

Junker. Halt dein Maul.

Da er izt schwieg, fieng der Schulmei-
ster an, und sagte: "Jhr seyd erzörnt, Gnä-
diger Herr! -- aber ich bitte unterthänigst
um ein Wort." --

"Zwey, wenn du willt, und viere auch,
aber die Wahrheit, wenns dir lieb ist," --
erwiederte der Junker.

"O gewiß, die Wahrheit, gewiß alle
Wahrheit," sagte der Schulmeister, und
erzählte dann, wie vor ein paar Tagen ohne
sein Wissen seine einte Kuh aus dem Stall
gekommen.

"So -- erwiederte der Junker -- du bist
also in der Kuh verirret, und dein Bruder
im Gras -- ihr seyd beyde schöne Herren.

Schulmstr. Es ist mir leid; aber ich hab
einmal vergessen, daß der Mezger von Reb-
stal sie schon abgehollt. --

Junker. Es muß dir gar am Gedächtniß
mangeln?

Schulmstr. Die Zeit her gar fast.

Jkr. Jch hörte sonst immer, du habest ein
gar gutes Gedächtniß, aber keinen Verstand.

Schulm.

Junker. Unter allen Schelmen, die da
ſind, iſt doch keiner um das Halbe verirret,
als du.

Siegriſt. Es iſt mir leid.

Junker. Halt dein Maul.

Da er izt ſchwieg, fieng der Schulmei-
ſter an, und ſagte: „Jhr ſeyd erzoͤrnt, Gnaͤ-
diger Herr! — aber ich bitte unterthaͤnigſt
um ein Wort.“ —

„Zwey, wenn du willt, und viere auch,
aber die Wahrheit, wenns dir lieb iſt,“ —
erwiederte der Junker.

„O gewiß, die Wahrheit, gewiß alle
Wahrheit,“ ſagte der Schulmeiſter, und
erzaͤhlte dann, wie vor ein paar Tagen ohne
ſein Wiſſen ſeine einte Kuh aus dem Stall
gekommen.

„So — erwiederte der Junker — du biſt
alſo in der Kuh verirret, und dein Bruder
im Gras — ihr ſeyd beyde ſchoͤne Herren.

Schulmſtr. Es iſt mir leid; aber ich hab
einmal vergeſſen, daß der Mezger von Reb-
ſtal ſie ſchon abgehollt. —

Junker. Es muß dir gar am Gedaͤchtniß
mangeln?

Schulmſtr. Die Zeit her gar faſt.

Jkr. Jch hoͤrte ſonſt im̃er, du habeſt ein
gar gutes Gedaͤchtniß, aber keinen Verſtand.

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[175/0193] Junker. Unter allen Schelmen, die da ſind, iſt doch keiner um das Halbe verirret, als du. Siegriſt. Es iſt mir leid. Junker. Halt dein Maul. Da er izt ſchwieg, fieng der Schulmei- ſter an, und ſagte: „Jhr ſeyd erzoͤrnt, Gnaͤ- diger Herr! — aber ich bitte unterthaͤnigſt um ein Wort.“ — „Zwey, wenn du willt, und viere auch, aber die Wahrheit, wenns dir lieb iſt,“ — erwiederte der Junker. „O gewiß, die Wahrheit, gewiß alle Wahrheit,“ ſagte der Schulmeiſter, und erzaͤhlte dann, wie vor ein paar Tagen ohne ſein Wiſſen ſeine einte Kuh aus dem Stall gekommen. „So — erwiederte der Junker — du biſt alſo in der Kuh verirret, und dein Bruder im Gras — ihr ſeyd beyde ſchoͤne Herren. Schulmſtr. Es iſt mir leid; aber ich hab einmal vergeſſen, daß der Mezger von Reb- ſtal ſie ſchon abgehollt. — Junker. Es muß dir gar am Gedaͤchtniß mangeln? Schulmſtr. Die Zeit her gar faſt. Jkr. Jch hoͤrte ſonſt im̃er, du habeſt ein gar gutes Gedaͤchtniß, aber keinen Verſtand. Schulm.

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/193>, abgerufen am 21.11.2024.