Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 57.
Ein aufgelöstes Räthsel, u. Arners
Urtheil über einen privilegirten
Mörder.

Sie giengen mit ihm zum Spott den weit-
sten Weg, über den Kirchhof.

Der Kuni Friedli und der Rütihans tru-
gen ihn. Sie waren aber noch nicht weit,
so that auf einmal dem Kuni Friedli der
Arm weh. Der Doktor schien ihm zehn-
mal schwerer als im Anfang. Der Kopf
ward ihm voll von dem Wort, das er denen
gedrohet, die ihn anrühren würden, und
meynte aufs wenigste, der Arm werde ihm
für seiner Lebtag lahm werden. Er stellte
den Mann fast ohnmächtig unter der Linde
ab, und griff dann hastig nach dem Ort,
wo ihn der Arm schmerzte, und fand dann,
daß ein meßingner Knopf an seinem Wam-
mes just zwischen das Tragband und Schul-
terbein gekommen, und ihn gedrükt.

Der Junker hatte dem Treufaug schon et-
liche Mal seine Henkerstropfen zu brauchen
verbotten, izt verboth ers ihm nicht mehr.
"Brauch sie von izt an, so viel du willst,
und so viel du kannst, sagte er zu ihm, und
laß dir dafür bezahlen, was die Narren da-

für
O
§. 57.
Ein aufgeloͤstes Raͤthſel, u. Arners
Urtheil uͤber einen privilegirten
Moͤrder.

Sie giengen mit ihm zum Spott den weit-
ſten Weg, uͤber den Kirchhof.

Der Kuni Friedli und der Ruͤtihans tru-
gen ihn. Sie waren aber noch nicht weit,
ſo that auf einmal dem Kuni Friedli der
Arm weh. Der Doktor ſchien ihm zehn-
mal ſchwerer als im Anfang. Der Kopf
ward ihm voll von dem Wort, das er denen
gedrohet, die ihn anruͤhren wuͤrden, und
meynte aufs wenigſte, der Arm werde ihm
fuͤr ſeiner Lebtag lahm werden. Er ſtellte
den Mann faſt ohnmaͤchtig unter der Linde
ab, und griff dann haſtig nach dem Ort,
wo ihn der Arm ſchmerzte, und fand dann,
daß ein meßingner Knopf an ſeinem Wam-
mes juſt zwiſchen das Tragband und Schul-
terbein gekommen, und ihn gedruͤkt.

Der Junker hatte dem Treufaug ſchon et-
liche Mal ſeine Henkerstropfen zu brauchen
verbotten, izt verboth ers ihm nicht mehr.
„Brauch ſie von izt an, ſo viel du willſt,
und ſo viel du kannſt, ſagte er zu ihm, und
laß dir dafuͤr bezahlen, was die Narren da-

fuͤr
O
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0227" n="209"/>
        <div n="2">
          <head>§. 57.<lb/>
Ein aufgelo&#x0364;stes Ra&#x0364;th&#x017F;el, u. Arners<lb/>
Urtheil u&#x0364;ber einen privilegirten<lb/>
Mo&#x0364;rder.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">S</hi>ie giengen mit ihm zum Spott den weit-<lb/>
&#x017F;ten Weg, u&#x0364;ber den Kirchhof.</p><lb/>
          <p>Der Kuni Friedli und der Ru&#x0364;tihans tru-<lb/>
gen ihn. Sie waren aber noch nicht weit,<lb/>
&#x017F;o that auf einmal dem Kuni Friedli der<lb/>
Arm weh. Der Doktor &#x017F;chien ihm zehn-<lb/>
mal &#x017F;chwerer als im Anfang. Der Kopf<lb/>
ward ihm voll von dem Wort, das er denen<lb/>
gedrohet, die ihn anru&#x0364;hren wu&#x0364;rden, und<lb/>
meynte aufs wenig&#x017F;te, der Arm werde ihm<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;einer Lebtag lahm werden. Er &#x017F;tellte<lb/>
den Mann fa&#x017F;t ohnma&#x0364;chtig unter der Linde<lb/>
ab, und griff dann ha&#x017F;tig nach dem Ort,<lb/>
wo ihn der Arm &#x017F;chmerzte, und fand dann,<lb/>
daß ein meßingner Knopf an &#x017F;einem Wam-<lb/>
mes ju&#x017F;t zwi&#x017F;chen das Tragband und Schul-<lb/>
terbein gekommen, und ihn gedru&#x0364;kt.</p><lb/>
          <p>Der Junker hatte dem Treufaug &#x017F;chon et-<lb/>
liche Mal &#x017F;eine Henkerstropfen zu brauchen<lb/>
verbotten, izt verboth ers ihm nicht mehr.<lb/>
&#x201E;Brauch &#x017F;ie von izt an, &#x017F;o viel du will&#x017F;t,<lb/>
und &#x017F;o viel du kann&#x017F;t, &#x017F;agte er zu ihm, und<lb/>
laß dir dafu&#x0364;r bezahlen, was die Narren da-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O</fw><fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;r</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0227] §. 57. Ein aufgeloͤstes Raͤthſel, u. Arners Urtheil uͤber einen privilegirten Moͤrder. Sie giengen mit ihm zum Spott den weit- ſten Weg, uͤber den Kirchhof. Der Kuni Friedli und der Ruͤtihans tru- gen ihn. Sie waren aber noch nicht weit, ſo that auf einmal dem Kuni Friedli der Arm weh. Der Doktor ſchien ihm zehn- mal ſchwerer als im Anfang. Der Kopf ward ihm voll von dem Wort, das er denen gedrohet, die ihn anruͤhren wuͤrden, und meynte aufs wenigſte, der Arm werde ihm fuͤr ſeiner Lebtag lahm werden. Er ſtellte den Mann faſt ohnmaͤchtig unter der Linde ab, und griff dann haſtig nach dem Ort, wo ihn der Arm ſchmerzte, und fand dann, daß ein meßingner Knopf an ſeinem Wam- mes juſt zwiſchen das Tragband und Schul- terbein gekommen, und ihn gedruͤkt. Der Junker hatte dem Treufaug ſchon et- liche Mal ſeine Henkerstropfen zu brauchen verbotten, izt verboth ers ihm nicht mehr. „Brauch ſie von izt an, ſo viel du willſt, und ſo viel du kannſt, ſagte er zu ihm, und laß dir dafuͤr bezahlen, was die Narren da- fuͤr O

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/227
Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/227>, abgerufen am 21.11.2024.