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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Da der Pfarrer hörte, daß der Jakob
Friedrich izt gedemüthigt, und jeder-
mann zum Gespötte geworden, gieng er noch
diesen Abend zu ihm hin. Der arme Tropf
wußte von nichts weniger in der Welt, als
davon, daß der Mensch aus jedem Unglük,
das ihm begegnet, den grösten Nuzen ziehen
könne, wenn er sich überwinden kann, nach-
zuforschen, worinn er selber daran schuld sey.
Er wütete nur, daß jedermann das Gespötte
mit ihm trieb -- und dachte nicht, daß seine
Thorheiten und seine Laster ihm dieses Ge-
spötte zugezogen.

Aber so ist der Mensch allenthalben. Er
meynt, er dörffe 20., 30. und 40. Jahre
ein Narr oder ein Schelm seyn, und es
dörffe dann niemand auch nur das Maul
darob rümpfen, wenns ihm auskömmt.

Aber es ist vergebens -- die Welt lacht
ob den Narren, welche fallen, und ob den
Schelmen, welche an den Pranger kommen.
Doch giebts immer auch noch Leute, die
nicht lachen, sondern Mitleiden haben. Der
gute Pfarrer war gewiß deren einer; der
Hartknopf glaubte es zwar nicht, und meyn-
te, er komme izt nur zu ihm, ihn auszu-
höhnen: aber der Pfarrer war so herzlich
mit ihm, daß er bald von seinem Jrrthum
zurüke kam.

Ein

Da der Pfarrer hoͤrte, daß der Jakob
Friedrich izt gedemuͤthigt, und jeder-
mann zum Geſpoͤtte geworden, gieng er noch
dieſen Abend zu ihm hin. Der arme Tropf
wußte von nichts weniger in der Welt, als
davon, daß der Menſch aus jedem Ungluͤk,
das ihm begegnet, den groͤſten Nuzen ziehen
koͤnne, wenn er ſich uͤberwinden kann, nach-
zuforſchen, worinn er ſelber daran ſchuld ſey.
Er wuͤtete nur, daß jedermann das Geſpoͤtte
mit ihm trieb — und dachte nicht, daß ſeine
Thorheiten und ſeine Laſter ihm dieſes Ge-
ſpoͤtte zugezogen.

Aber ſo iſt der Menſch allenthalben. Er
meynt, er doͤrffe 20., 30. und 40. Jahre
ein Narr oder ein Schelm ſeyn, und es
doͤrffe dann niemand auch nur das Maul
darob ruͤmpfen, wenns ihm auskoͤmmt.

Aber es iſt vergebens — die Welt lacht
ob den Narren, welche fallen, und ob den
Schelmen, welche an den Pranger kommen.
Doch giebts immer auch noch Leute, die
nicht lachen, ſondern Mitleiden haben. Der
gute Pfarrer war gewiß deren einer; der
Hartknopf glaubte es zwar nicht, und meyn-
te, er komme izt nur zu ihm, ihn auszu-
hoͤhnen: aber der Pfarrer war ſo herzlich
mit ihm, daß er bald von ſeinem Jrrthum
zuruͤke kam.

Ein
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[235/0253] Da der Pfarrer hoͤrte, daß der Jakob Friedrich izt gedemuͤthigt, und jeder- mann zum Geſpoͤtte geworden, gieng er noch dieſen Abend zu ihm hin. Der arme Tropf wußte von nichts weniger in der Welt, als davon, daß der Menſch aus jedem Ungluͤk, das ihm begegnet, den groͤſten Nuzen ziehen koͤnne, wenn er ſich uͤberwinden kann, nach- zuforſchen, worinn er ſelber daran ſchuld ſey. Er wuͤtete nur, daß jedermann das Geſpoͤtte mit ihm trieb — und dachte nicht, daß ſeine Thorheiten und ſeine Laſter ihm dieſes Ge- ſpoͤtte zugezogen. Aber ſo iſt der Menſch allenthalben. Er meynt, er doͤrffe 20., 30. und 40. Jahre ein Narr oder ein Schelm ſeyn, und es doͤrffe dann niemand auch nur das Maul darob ruͤmpfen, wenns ihm auskoͤmmt. Aber es iſt vergebens — die Welt lacht ob den Narren, welche fallen, und ob den Schelmen, welche an den Pranger kommen. Doch giebts immer auch noch Leute, die nicht lachen, ſondern Mitleiden haben. Der gute Pfarrer war gewiß deren einer; der Hartknopf glaubte es zwar nicht, und meyn- te, er komme izt nur zu ihm, ihn auszu- hoͤhnen: aber der Pfarrer war ſo herzlich mit ihm, daß er bald von ſeinem Jrrthum zuruͤke kam. Ein

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/253>, abgerufen am 21.11.2024.