Ein Hauptwort, das der Pfarrer zu ihm sagte, war dieses: Hartknopf -- ich möchte dir eben zeigen, wie man in der Welt ohne Kränkung leben kann.
Und ich möchte es gern wissen, antwor- tete der Hartknopf.
Man muß nur immer den geraden Weg gehen, erwiederte der Pfarrer.
Aber was ist der gerade Weg? sagte der Ehegaumer.
Alles, was ihr wollet, das euch die Men- schen thun sollen, das thut ihr auch ihnen, erwiederte der Pfarrer.
Der Hartknopf wollte hier ausweichen, und dieß und jenes anbringen. Aber der Pfarrer hielt ihn fest, und sagte ihm, daß sein Unglük just daher komme, daß er die- sen geraden Weg nicht gegangen, und in keinem Stük liebreich und gutmüthig mit seinen Nebenmenschen gelebet, und gieng recht tief mit ihm in die Materie seines Le- bens hinein, und sagte ihm unter anderm auch dieses: Hartknopf, du bist ein rech- ter Meynungen-Narr gewesen, und hast immer vergessen, daß wir alle blind sind auf Erden, und uns darum nie über keine Meynungen erzanken und ereifern sollten. Und es ist recht heydnisch, wie du an dei- nen Meynungen gehangen, wie wenn sie
selbst
Ein Hauptwort, das der Pfarrer zu ihm ſagte, war dieſes: Hartknopf — ich moͤchte dir eben zeigen, wie man in der Welt ohne Kraͤnkung leben kann.
Und ich moͤchte es gern wiſſen, antwor- tete der Hartknopf.
Man muß nur immer den geraden Weg gehen, erwiederte der Pfarrer.
Aber was iſt der gerade Weg? ſagte der Ehegaumer.
Alles, was ihr wollet, das euch die Men- ſchen thun ſollen, das thut ihr auch ihnen, erwiederte der Pfarrer.
Der Hartknopf wollte hier ausweichen, und dieß und jenes anbringen. Aber der Pfarrer hielt ihn feſt, und ſagte ihm, daß ſein Ungluͤk juſt daher komme, daß er die- ſen geraden Weg nicht gegangen, und in keinem Stuͤk liebreich und gutmuͤthig mit ſeinen Nebenmenſchen gelebet, und gieng recht tief mit ihm in die Materie ſeines Le- bens hinein, und ſagte ihm unter anderm auch dieſes: Hartknopf, du biſt ein rech- ter Meynungen-Narr geweſen, und haſt immer vergeſſen, daß wir alle blind ſind auf Erden, und uns darum nie uͤber keine Meynungen erzanken und ereifern ſollten. Und es iſt recht heydniſch, wie du an dei- nen Meynungen gehangen, wie wenn ſie
ſelbſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0254"n="236"/><p>Ein Hauptwort, das der Pfarrer zu ihm<lb/>ſagte, war dieſes: Hartknopf — ich moͤchte<lb/>
dir eben zeigen, wie man in der Welt ohne<lb/>
Kraͤnkung leben kann.</p><lb/><p>Und ich moͤchte es gern wiſſen, antwor-<lb/>
tete der Hartknopf.</p><lb/><p>Man muß nur immer den geraden Weg<lb/>
gehen, erwiederte der Pfarrer.</p><lb/><p>Aber was iſt der gerade Weg? ſagte der<lb/>
Ehegaumer.</p><lb/><p>Alles, was ihr wollet, das euch die Men-<lb/>ſchen thun ſollen, das thut ihr auch ihnen,<lb/>
erwiederte der Pfarrer.</p><lb/><p>Der Hartknopf wollte hier ausweichen,<lb/>
und dieß und jenes anbringen. Aber der<lb/>
Pfarrer hielt ihn feſt, und ſagte ihm, daß<lb/>ſein Ungluͤk juſt daher komme, daß er die-<lb/>ſen geraden Weg nicht gegangen, und in<lb/>
keinem Stuͤk liebreich und gutmuͤthig mit<lb/>ſeinen Nebenmenſchen gelebet, und gieng<lb/>
recht tief mit ihm in die Materie ſeines Le-<lb/>
bens hinein, und ſagte ihm unter anderm<lb/>
auch dieſes: Hartknopf, du biſt ein rech-<lb/>
ter Meynungen-Narr geweſen, und haſt<lb/>
immer vergeſſen, daß wir alle blind ſind<lb/>
auf Erden, und uns darum nie uͤber keine<lb/>
Meynungen erzanken und ereifern ſollten.<lb/>
Und es iſt recht heydniſch, wie du an dei-<lb/>
nen Meynungen gehangen, wie wenn ſie<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſelbſt</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[236/0254]
Ein Hauptwort, das der Pfarrer zu ihm
ſagte, war dieſes: Hartknopf — ich moͤchte
dir eben zeigen, wie man in der Welt ohne
Kraͤnkung leben kann.
Und ich moͤchte es gern wiſſen, antwor-
tete der Hartknopf.
Man muß nur immer den geraden Weg
gehen, erwiederte der Pfarrer.
Aber was iſt der gerade Weg? ſagte der
Ehegaumer.
Alles, was ihr wollet, das euch die Men-
ſchen thun ſollen, das thut ihr auch ihnen,
erwiederte der Pfarrer.
Der Hartknopf wollte hier ausweichen,
und dieß und jenes anbringen. Aber der
Pfarrer hielt ihn feſt, und ſagte ihm, daß
ſein Ungluͤk juſt daher komme, daß er die-
ſen geraden Weg nicht gegangen, und in
keinem Stuͤk liebreich und gutmuͤthig mit
ſeinen Nebenmenſchen gelebet, und gieng
recht tief mit ihm in die Materie ſeines Le-
bens hinein, und ſagte ihm unter anderm
auch dieſes: Hartknopf, du biſt ein rech-
ter Meynungen-Narr geweſen, und haſt
immer vergeſſen, daß wir alle blind ſind
auf Erden, und uns darum nie uͤber keine
Meynungen erzanken und ereifern ſollten.
Und es iſt recht heydniſch, wie du an dei-
nen Meynungen gehangen, wie wenn ſie
ſelbſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/254>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.