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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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selbst Gott wären. Du hast geglaubt,
wer nicht denke wie du, sey Gott nicht
lieb, und du hast die gute Lehre vom stillen
frommen Gottesglauben zu einer Streitlehre
gemacht, daß die Leute das Wort Gottes
und das Evangelium studierten und brauch-
ten, wie ein böses Volk ein trölerisches Ge-
sezbuch braucht, einander das Leben zu ver-
bittern, und das Blut unter den Nägeln
hervorzudrüken.

Jndessen bist du mit diesem Leben ein
Lump geworden, und wenn du Kinder hät-
test, so könntest du sie nicht mit Gott und
Ehren erziehen; und ich will nur kein Blatt
für den Mund nehmen, wenn du dich nicht
änderst, und fleißiger wirst, so fällst du in
kurzem dem Allmosen zur Last; denn ich
weiß deine Umstände, und daß du in allen
Eken weit mehr schuldig bist, als du zah-
len kannst.

Der Hochmuth hätte dem Hartknopf nicht
zugelassen, mit klaren Worten dem Pfarrer
zu gestehen, daß er recht habe, wenn er nicht
den Artikel mit den Schulden berührt hätte;
aber darob ist er so erschroken, daß er ihm
bekennte und sagte, ja es seye wahr, und
er wollte izt gern, es wäre anderst. Er
klagte den Magister Heiligerzahn an, daß

er

ſelbſt Gott waͤren. Du haſt geglaubt,
wer nicht denke wie du, ſey Gott nicht
lieb, und du haſt die gute Lehre vom ſtillen
frommen Gottesglauben zu einer Streitlehre
gemacht, daß die Leute das Wort Gottes
und das Evangelium ſtudierten und brauch-
ten, wie ein boͤſes Volk ein troͤleriſches Ge-
ſezbuch braucht, einander das Leben zu ver-
bittern, und das Blut unter den Naͤgeln
hervorzudruͤken.

Jndeſſen biſt du mit dieſem Leben ein
Lump geworden, und wenn du Kinder haͤt-
teſt, ſo koͤnnteſt du ſie nicht mit Gott und
Ehren erziehen; und ich will nur kein Blatt
fuͤr den Mund nehmen, wenn du dich nicht
aͤnderſt, und fleißiger wirſt, ſo faͤllſt du in
kurzem dem Allmoſen zur Laſt; denn ich
weiß deine Umſtaͤnde, und daß du in allen
Eken weit mehr ſchuldig biſt, als du zah-
len kannſt.

Der Hochmuth haͤtte dem Hartknopf nicht
zugelaſſen, mit klaren Worten dem Pfarrer
zu geſtehen, daß er recht habe, wenn er nicht
den Artikel mit den Schulden beruͤhrt haͤtte;
aber darob iſt er ſo erſchroken, daß er ihm
bekennte und ſagte, ja es ſeye wahr, und
er wollte izt gern, es waͤre anderſt. Er
klagte den Magiſter Heiligerzahn an, daß

er
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[237/0255] ſelbſt Gott waͤren. Du haſt geglaubt, wer nicht denke wie du, ſey Gott nicht lieb, und du haſt die gute Lehre vom ſtillen frommen Gottesglauben zu einer Streitlehre gemacht, daß die Leute das Wort Gottes und das Evangelium ſtudierten und brauch- ten, wie ein boͤſes Volk ein troͤleriſches Ge- ſezbuch braucht, einander das Leben zu ver- bittern, und das Blut unter den Naͤgeln hervorzudruͤken. Jndeſſen biſt du mit dieſem Leben ein Lump geworden, und wenn du Kinder haͤt- teſt, ſo koͤnnteſt du ſie nicht mit Gott und Ehren erziehen; und ich will nur kein Blatt fuͤr den Mund nehmen, wenn du dich nicht aͤnderſt, und fleißiger wirſt, ſo faͤllſt du in kurzem dem Allmoſen zur Laſt; denn ich weiß deine Umſtaͤnde, und daß du in allen Eken weit mehr ſchuldig biſt, als du zah- len kannſt. Der Hochmuth haͤtte dem Hartknopf nicht zugelaſſen, mit klaren Worten dem Pfarrer zu geſtehen, daß er recht habe, wenn er nicht den Artikel mit den Schulden beruͤhrt haͤtte; aber darob iſt er ſo erſchroken, daß er ihm bekennte und ſagte, ja es ſeye wahr, und er wollte izt gern, es waͤre anderſt. Er klagte den Magiſter Heiligerzahn an, daß er

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/255>, abgerufen am 21.11.2024.