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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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er zum Taufstein hervorgehe. Vor der Kir-
che redte er mit denen, die neu gekleidet wa-
ren, ab, daß sie zuerst vor den andern her-
vorgehen müssen, und daß er der gröste sey,
und also der erste hervor wolle.

Gott hat den Menschen in diesem Alter
viel Kraft und einen frohen Muth gegeben,
und die frommen Alten gönnten dem lieben
jungen Volke hundert Freuden, die diesen
guten Muth stärkten, und eben dadurch vor
Ausschweifung bewahrten. Das junge Volk
sah einander bey Tage und bey Nacht; aber
die Töchter hielten zusammen, und eben so
die Knaben; und dieses Zusammenhalten der
beydseitigen Geschlechter machte, daß jeder
einzelne Knab, und jede Tochter gar viel
mehr und gar viel länger unschuldig blieb.
Die Lichtstubeten (Zusammenkünfte bey Licht
auf einer Stube) waren da noch nicht La-
sterstuben
, wie sie izt sind. Das junge
Volk kam freylich nach dem Nachtessen auch
zusammen; aber Eltern, Verwandte, from-
me, ehrenfeste Männer und Weiber waren
allemal dabey, und nahmen an ihren Freu-
den Theil; und wenn ein Knabe, der so viel
als versprochen war, nun zu seiner Liebsten
allein kommen dorfte, so fand er dennoch im-
mer die Mutter oder Schwester, oder einen
Bruder bey ihr bis zur Hochzeit.

Ueber-

er zum Taufſtein hervorgehe. Vor der Kir-
che redte er mit denen, die neu gekleidet wa-
ren, ab, daß ſie zuerſt vor den andern her-
vorgehen muͤſſen, und daß er der groͤſte ſey,
und alſo der erſte hervor wolle.

Gott hat den Menſchen in dieſem Alter
viel Kraft und einen frohen Muth gegeben,
und die frommen Alten goͤnnten dem lieben
jungen Volke hundert Freuden, die dieſen
guten Muth ſtaͤrkten, und eben dadurch vor
Ausſchweifung bewahrten. Das junge Volk
ſah einander bey Tage und bey Nacht; aber
die Toͤchter hielten zuſammen, und eben ſo
die Knaben; und dieſes Zuſammenhalten der
beydſeitigen Geſchlechter machte, daß jeder
einzelne Knab, und jede Tochter gar viel
mehr und gar viel laͤnger unſchuldig blieb.
Die Lichtſtubeten (Zuſam̃enkuͤnfte bey Licht
auf einer Stube) waren da noch nicht La-
ſterſtuben
, wie ſie izt ſind. Das junge
Volk kam freylich nach dem Nachteſſen auch
zuſammen; aber Eltern, Verwandte, from-
me, ehrenfeſte Maͤnner und Weiber waren
allemal dabey, und nahmen an ihren Freu-
den Theil; und wenn ein Knabe, der ſo viel
als verſprochen war, nun zu ſeiner Liebſten
allein kommen dorfte, ſo fand er dennoch im-
mer die Mutter oder Schweſter, oder einen
Bruder bey ihr bis zur Hochzeit.

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[256/0274] er zum Taufſtein hervorgehe. Vor der Kir- che redte er mit denen, die neu gekleidet wa- ren, ab, daß ſie zuerſt vor den andern her- vorgehen muͤſſen, und daß er der groͤſte ſey, und alſo der erſte hervor wolle. Gott hat den Menſchen in dieſem Alter viel Kraft und einen frohen Muth gegeben, und die frommen Alten goͤnnten dem lieben jungen Volke hundert Freuden, die dieſen guten Muth ſtaͤrkten, und eben dadurch vor Ausſchweifung bewahrten. Das junge Volk ſah einander bey Tage und bey Nacht; aber die Toͤchter hielten zuſammen, und eben ſo die Knaben; und dieſes Zuſammenhalten der beydſeitigen Geſchlechter machte, daß jeder einzelne Knab, und jede Tochter gar viel mehr und gar viel laͤnger unſchuldig blieb. Die Lichtſtubeten (Zuſam̃enkuͤnfte bey Licht auf einer Stube) waren da noch nicht La- ſterſtuben, wie ſie izt ſind. Das junge Volk kam freylich nach dem Nachteſſen auch zuſammen; aber Eltern, Verwandte, from- me, ehrenfeſte Maͤnner und Weiber waren allemal dabey, und nahmen an ihren Freu- den Theil; und wenn ein Knabe, der ſo viel als verſprochen war, nun zu ſeiner Liebſten allein kommen dorfte, ſo fand er dennoch im- mer die Mutter oder Schweſter, oder einen Bruder bey ihr bis zur Hochzeit. Ueber-

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/274>, abgerufen am 21.11.2024.