geredt, damit der Junker und Pfarrer sehen, daß sie auch Mitleiden haben können, dem Kien- ast, so lang er lebe, alle Burgerdienste zu schen- ken, und ihm sein Burgerholz ohne seine Kösten machen und zuführen zu lassen.
Und nun rief der Pfarrer ihnen und den Kin- dern in die Stube. -- Das übrige Volk, das aus der Kirche mitkam, blieb unter der Thüre und vor den Fenstern.
Aber es war dem Kienast, wie wenn ers nicht glauben könne, da ihm die Vorgesezten sagten, was sie abgeredt. Denn obwohl ein Herkommen im Dorf ist, daß immer sieben arme alte Männer so frohnungsfrey ihren Burgergenuß beziehen sollen, so kam das bey Mannsdenken doch nie an jemand andern, als an Lumpen, die ihnen verwandt, oder an Schelmen und freche Pursch, deren Maul sie förchteten.
Die Kinder aber umringten, in Haufen ge- theilt, die Waysen nach ihrem Alter; ein jedes drängte sich zu demjenigen, so es am nächsten kannte. Sie drükten ihnen die Hand, und sag- ten ihnen: "Gott tröst euch im Leid!" Denn herrschte ein stummes Schweigen, und aller Augen waren in Thränen.
Da nahm der Pfarrer das Wort, und sagte: Kinder! Gott ist nahe, wo die Menschen einan- der Liebe zeigen. -- Denn führte er eines nach dem andern an der Hand zu der Todten, die da lag wie das Bild des überstandenen Elends, und
geredt, damit der Junker und Pfarrer ſehen, daß ſie auch Mitleiden haben koͤnnen, dem Kien- aſt, ſo lang er lebe, alle Burgerdienſte zu ſchen- ken, und ihm ſein Burgerholz ohne ſeine Koͤſten machen und zufuͤhren zu laſſen.
Und nun rief der Pfarrer ihnen und den Kin- dern in die Stube. — Das uͤbrige Volk, das aus der Kirche mitkam, blieb unter der Thuͤre und vor den Fenſtern.
Aber es war dem Kienaſt, wie wenn ers nicht glauben koͤnne, da ihm die Vorgeſezten ſagten, was ſie abgeredt. Denn obwohl ein Herkommen im Dorf iſt, daß immer ſieben arme alte Maͤnner ſo frohnungsfrey ihren Burgergenuß beziehen ſollen, ſo kam das bey Mannsdenken doch nie an jemand andern, als an Lumpen, die ihnen verwandt, oder an Schelmen und freche Purſch, deren Maul ſie foͤrchteten.
Die Kinder aber umringten, in Haufen ge- theilt, die Wayſen nach ihrem Alter; ein jedes draͤngte ſich zu demjenigen, ſo es am naͤchſten kannte. Sie druͤkten ihnen die Hand, und ſag- ten ihnen: “Gott troͤſt euch im Leid!„ Denn herrſchte ein ſtummes Schweigen, und aller Augen waren in Thraͤnen.
Da nahm der Pfarrer das Wort, und ſagte: Kinder! Gott iſt nahe, wo die Menſchen einan- der Liebe zeigen. — Denn fuͤhrte er eines nach dem andern an der Hand zu der Todten, die da lag wie das Bild des uͤberſtandenen Elends, und
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geredt, damit der Junker und Pfarrer ſehen,
daß ſie auch Mitleiden haben koͤnnen, dem Kien-
aſt, ſo lang er lebe, alle Burgerdienſte zu ſchen-
ken, und ihm ſein Burgerholz ohne ſeine Koͤſten
machen und zufuͤhren zu laſſen.
Und nun rief der Pfarrer ihnen und den Kin-
dern in die Stube. — Das uͤbrige Volk, das
aus der Kirche mitkam, blieb unter der Thuͤre
und vor den Fenſtern.
Aber es war dem Kienaſt, wie wenn ers nicht
glauben koͤnne, da ihm die Vorgeſezten ſagten,
was ſie abgeredt. Denn obwohl ein Herkommen
im Dorf iſt, daß immer ſieben arme alte Maͤnner
ſo frohnungsfrey ihren Burgergenuß beziehen
ſollen, ſo kam das bey Mannsdenken doch nie
an jemand andern, als an Lumpen, die ihnen
verwandt, oder an Schelmen und freche Purſch,
deren Maul ſie foͤrchteten.
Die Kinder aber umringten, in Haufen ge-
theilt, die Wayſen nach ihrem Alter; ein jedes
draͤngte ſich zu demjenigen, ſo es am naͤchſten
kannte. Sie druͤkten ihnen die Hand, und ſag-
ten ihnen: “Gott troͤſt euch im Leid!„ Denn
herrſchte ein ſtummes Schweigen, und aller
Augen waren in Thraͤnen.
Da nahm der Pfarrer das Wort, und ſagte:
Kinder! Gott iſt nahe, wo die Menſchen einan-
der Liebe zeigen. — Denn fuͤhrte er eines nach
dem andern an der Hand zu der Todten, die da
lag wie das Bild des uͤberſtandenen Elends, und
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/436>, abgerufen am 23.11.2024.
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