Auch das lag ihm in der Natur, daß er alle Händel haßte, mit denen man nie zu Ende kom- men konnte; und es war ihm unmöglich, zu glau- ben, daß das wahre Glück des Menschen von Got- tes wegen, an Lehren, Meynungen und Urtheile gebunden sey, die seit Jahrhunderten zwischen ehrli- chen Leuten im Streit sind, und ihrer Natur nach wahrscheinlich bis ans Ende der Tagen im Streit bleiben werden. --
Kurz es war nichts mit ihm zu machen, er brach ab, so bald er merkte, daß es den Kopf gelte, und wollte lieber mit offenen Augen in der Irre herumlaufen, als mit verbundenen -- viel- leicht -- in ein Paradies kommen.
So schwamm er Jahre lang wie auf den Wel- len des Meers, fand für sein Herz nirgend kein si- cheres Ufer -- und suchte zulezt -- kurze Zeit. --
Er fand sie meistens in der Einsamkeit -- saß Stundenlang einzig in seinem Winkel beym Kamin, brannte oft Feuer bis ihm der Kopf heiß war, warf ganze Stöße Papier in die Flammen, und wenn sie Aschen waren, sagte er oft, "das, was izt da- von übrig ist, ist ihre Wahrheit!"
Die Regierungsgeschäfte wurden ihm zur Last, sie schienen ihm nichts anders als das Treiben eines Fuhrmanns an einem überladenen Wagen, der
Auch das lag ihm in der Natur, daß er alle Haͤndel haßte, mit denen man nie zu Ende kom- men konnte; und es war ihm unmoͤglich, zu glau- ben, daß das wahre Gluͤck des Menſchen von Got- tes wegen, an Lehren, Meynungen und Urtheile gebunden ſey, die ſeit Jahrhunderten zwiſchen ehrli- chen Leuten im Streit ſind, und ihrer Natur nach wahrſcheinlich bis ans Ende der Tagen im Streit bleiben werden. —
Kurz es war nichts mit ihm zu machen, er brach ab, ſo bald er merkte, daß es den Kopf gelte, und wollte lieber mit offenen Augen in der Irre herumlaufen, als mit verbundenen — viel- leicht — in ein Paradies kommen.
So ſchwamm er Jahre lang wie auf den Wel- len des Meers, fand fuͤr ſein Herz nirgend kein ſi- cheres Ufer — und ſuchte zulezt — kurze Zeit. —
Er fand ſie meiſtens in der Einſamkeit — ſaß Stundenlang einzig in ſeinem Winkel beym Kamin, brannte oft Feuer bis ihm der Kopf heiß war, warf ganze Stoͤße Papier in die Flammen, und wenn ſie Aſchen waren, ſagte er oft, „das, was izt da- von uͤbrig iſt, iſt ihre Wahrheit!„
Die Regierungsgeſchaͤfte wurden ihm zur Laſt, ſie ſchienen ihm nichts anders als das Treiben eines Fuhrmanns an einem uͤberladenen Wagen, der
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0173"n="155"/><p>Auch das lag ihm in der Natur, daß er alle<lb/>
Haͤndel haßte, mit denen man nie zu Ende kom-<lb/>
men konnte; und es war ihm unmoͤglich, zu glau-<lb/>
ben, daß das wahre Gluͤck des Menſchen von Got-<lb/>
tes wegen, an Lehren, Meynungen und Urtheile<lb/>
gebunden ſey, die ſeit Jahrhunderten zwiſchen ehrli-<lb/>
chen Leuten im Streit ſind, und ihrer Natur nach<lb/>
wahrſcheinlich bis ans Ende der Tagen im Streit<lb/>
bleiben werden. —</p><lb/><p>Kurz es war nichts mit ihm zu machen, er<lb/>
brach ab, ſo bald er merkte, daß es den Kopf<lb/>
gelte, und wollte lieber mit offenen Augen in der<lb/>
Irre herumlaufen, als mit verbundenen — viel-<lb/>
leicht — in ein Paradies kommen.</p><lb/><p>So ſchwamm er Jahre lang wie auf den Wel-<lb/>
len des Meers, fand fuͤr ſein Herz nirgend kein ſi-<lb/>
cheres Ufer — und ſuchte zulezt — kurze Zeit. —</p><lb/><p>Er fand ſie meiſtens in der Einſamkeit —ſaß<lb/>
Stundenlang einzig in ſeinem Winkel beym Kamin,<lb/>
brannte oft Feuer bis ihm der Kopf heiß war, warf<lb/>
ganze Stoͤße Papier in die Flammen, und wenn<lb/>ſie Aſchen waren, ſagte er oft, „das, was izt da-<lb/>
von uͤbrig iſt, iſt ihre Wahrheit!„</p><lb/><p>Die Regierungsgeſchaͤfte wurden ihm zur Laſt,<lb/>ſie ſchienen ihm nichts anders als das Treiben eines<lb/>
Fuhrmanns an einem uͤberladenen Wagen, der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[155/0173]
Auch das lag ihm in der Natur, daß er alle
Haͤndel haßte, mit denen man nie zu Ende kom-
men konnte; und es war ihm unmoͤglich, zu glau-
ben, daß das wahre Gluͤck des Menſchen von Got-
tes wegen, an Lehren, Meynungen und Urtheile
gebunden ſey, die ſeit Jahrhunderten zwiſchen ehrli-
chen Leuten im Streit ſind, und ihrer Natur nach
wahrſcheinlich bis ans Ende der Tagen im Streit
bleiben werden. —
Kurz es war nichts mit ihm zu machen, er
brach ab, ſo bald er merkte, daß es den Kopf
gelte, und wollte lieber mit offenen Augen in der
Irre herumlaufen, als mit verbundenen — viel-
leicht — in ein Paradies kommen.
So ſchwamm er Jahre lang wie auf den Wel-
len des Meers, fand fuͤr ſein Herz nirgend kein ſi-
cheres Ufer — und ſuchte zulezt — kurze Zeit. —
Er fand ſie meiſtens in der Einſamkeit — ſaß
Stundenlang einzig in ſeinem Winkel beym Kamin,
brannte oft Feuer bis ihm der Kopf heiß war, warf
ganze Stoͤße Papier in die Flammen, und wenn
ſie Aſchen waren, ſagte er oft, „das, was izt da-
von uͤbrig iſt, iſt ihre Wahrheit!„
Die Regierungsgeſchaͤfte wurden ihm zur Laſt,
ſie ſchienen ihm nichts anders als das Treiben eines
Fuhrmanns an einem uͤberladenen Wagen, der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/173>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.