§. 61. Seine Festform ruhet eben so auf Bauern- geist und Bauernordnung, als sie die Endzwecke eines weisen Gesezgebers, und diejenige eines frommen Religions- Lehrers vereinigt, und auf die eigent- liche Individual-Lage derjenigen Men- schen gebauet ist, welche das Fest feyern.
So wie dieser gute Pfarrer in seinem täglichen Thun, und in der stündlichen Erfüllung seines Stands- und Berufspflichten, dem Leichtsinn und der Gedankenlosigkeit, als den ersten Quellen ihrer Fehler und Schwächen, und den ersten Hinder- nissen ihrer wahren Veredlung, durch den Geist und die Kraft seiner gottesdienstlichen Führung ent- gegen arbeite, so that er dieses besonders an den heiligen Festen.
Am stillen Abend, vor der Feyer eines heiligen Tages, versammelte sich das Volk seiner Gemeinde vor den Kirchen auf dem Kirchhof, ein jedes bey der Ruhestätte der Seinigen; dann kam auch er, kniete auf das Grab seines Vorfahrs, und sagte zum Volk: "Erinnert euch derer, die vor euch ge-
§. 61. Seine Feſtform ruhet eben ſo auf Bauern- geiſt und Bauernordnung, als ſie die Endzwecke eines weiſen Geſezgebers, und diejenige eines frommen Religions- Lehrers vereinigt, und auf die eigent- liche Individual-Lage derjenigen Men- ſchen gebauet iſt, welche das Feſt feyern.
So wie dieſer gute Pfarrer in ſeinem taͤglichen Thun, und in der ſtuͤndlichen Erfuͤllung ſeines Stands- und Berufspflichten, dem Leichtſinn und der Gedankenloſigkeit, als den erſten Quellen ihrer Fehler und Schwaͤchen, und den erſten Hinder- niſſen ihrer wahren Veredlung, durch den Geiſt und die Kraft ſeiner gottesdienſtlichen Fuͤhrung ent- gegen arbeite, ſo that er dieſes beſonders an den heiligen Feſten.
Am ſtillen Abend, vor der Feyer eines heiligen Tages, verſammelte ſich das Volk ſeiner Gemeinde vor den Kirchen auf dem Kirchhof, ein jedes bey der Ruheſtaͤtte der Seinigen; dann kam auch er, kniete auf das Grab ſeines Vorfahrs, und ſagte zum Volk: „Erinnert euch derer, die vor euch ge-
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§. 61.
Seine Feſtform ruhet eben ſo auf Bauern-
geiſt und Bauernordnung, als ſie die
Endzwecke eines weiſen Geſezgebers,
und diejenige eines frommen Religions-
Lehrers vereinigt, und auf die eigent-
liche Individual-Lage derjenigen Men-
ſchen gebauet iſt, welche das Feſt feyern.
So wie dieſer gute Pfarrer in ſeinem taͤglichen
Thun, und in der ſtuͤndlichen Erfuͤllung ſeines
Stands- und Berufspflichten, dem Leichtſinn und
der Gedankenloſigkeit, als den erſten Quellen ihrer
Fehler und Schwaͤchen, und den erſten Hinder-
niſſen ihrer wahren Veredlung, durch den Geiſt
und die Kraft ſeiner gottesdienſtlichen Fuͤhrung ent-
gegen arbeite, ſo that er dieſes beſonders an den
heiligen Feſten.
Am ſtillen Abend, vor der Feyer eines heiligen
Tages, verſammelte ſich das Volk ſeiner Gemeinde
vor den Kirchen auf dem Kirchhof, ein jedes bey
der Ruheſtaͤtte der Seinigen; dann kam auch er,
kniete auf das Grab ſeines Vorfahrs, und ſagte
zum Volk: „Erinnert euch derer, die vor euch ge-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/368>, abgerufen am 21.11.2024.
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