ppe_077.001 als echte, hat sich ein eigenes System historischer Hilfswissenschaften ppe_077.002 entwickeln müssen, das unter Zuhilfenahme aller Mittel der Technik ppe_077.003 in Paläographie, Diplomatik und Sphragistik die Methoden der Echtheitsprüfung ppe_077.004 bis zur höchsten Feinheit ausgebildet hat. Die Literaturgeschichte ppe_077.005 des Mittelalters kommt in die Lage, nicht nur für Ausschluß ppe_077.006 von Fälschungen, sondern auch für Datierung und Textkritik ppe_077.007 handschriftlich überlieferter Dichtung dieselben Methoden als eine ppe_077.008 literaturgeschichtliche Hilfswissenschaft in Anwendung zu bringen. ppe_077.009 Und wo die historische Kritik allzu mißtrauisch war, wie bei den ppe_077.010 Dramen der Hrotswith von Gandersheim, die Aschbach als Fälschungen ppe_077.011 des Celtis ansehen wollte, kann sie auf Grund handschriftlicher ppe_077.012 Funde wieder zur Überzeugung von der Echtheit zurückkehren.
ppe_077.013 Läßt sich die Zuverlässigkeit handschriftlicher Überlieferung mittels ppe_077.014 hochentwickelter Prüfungsmethoden beurteilen, so ist wenig geholfen, ppe_077.015 wenn etwas anderes als die Echtheit der Schrift in Frage steht. Es ppe_077.016 kann Fälle geben, bei denen die Schrift gleichgültig ist, während es ppe_077.017 nur auf die Echtheit des Inhalts ankommt. Der Zufall hat es gewollt, ppe_077.018 daß von den beiden größten Werken Goethes die erste Fassung nur in ppe_077.019 fremder Abschrift erhalten ist. Da sich der "Urfaust" im Nachlaß des ppe_077.020 Fräulein von Göchhausen, der "Urmeister" in dem der Frau Bäbe ppe_077.021 Schultheß gefunden hat, kann die Identität der Handschrift leicht ppe_077.022 festgestellt werden, und die äußere Zuverlässigkeit der Überlieferung ppe_077.023 steht außer Zweifel. Die innere Zuverlässigkeit ist damit noch nicht ppe_077.024 erwiesen; hier muß erst Übereinstimmung mit den Daten der Entstehungsgeschichte ppe_077.025 hergestellt werden; dann fällt es der sprachlichen ppe_077.026 Untersuchung zu, unter Zuhilfenahme des späteren, umgearbeiteten ppe_077.027 Druckes und unter Heranziehung von Goethes damaligem Sprachgebrauch ppe_077.028 und Stil allerlei Flüchtigkeiten, Auslassungen und Verschreibungen, ppe_077.029 ebenso wie alle orthographischen und mundartlichen Eigentümlichkeiten ppe_077.030 der Abschreiberinnen als ihre Beimischung auszuscheiden, ppe_077.031 um dem Text den Wert der verlorenen Vorlage wiederzugeben, ppe_077.032 für die er Ersatz zu bieten hat.
ppe_077.033 Ebenso wie Fehler der Abschrift auf Grund des späteren Druckes ppe_077.034 zu erkennen sind, könnte auch möglicherweise der Drucktext auf ppe_077.035 Grund der Abschrift zu berichtigen sein. Ein zweifelhafter Fall liegt ppe_077.036 z. B. vor, wenn das Lied Mignons in der Abschrift des "Urmeister" ppe_077.037 alle drei Strophen mit dem Kehrreim "Möcht' ich mit dir, o mein ppe_077.038 Gebieter ziehn" schließen läßt. "Wilhelm Meisters Lehrjahre" bringen ppe_077.039 statt dessen die Steigerung "Geliebter", "Beschützer", "Vater". War ppe_077.040 nun "Gebieter" ein Schultheßscher Schreib- oder Lesefehler? Oder ppe_077.041 ist umgekehrt "Geliebter" ein Fehler des ersten Druckes, dem alle
ppe_077.001 als echte, hat sich ein eigenes System historischer Hilfswissenschaften ppe_077.002 entwickeln müssen, das unter Zuhilfenahme aller Mittel der Technik ppe_077.003 in Paläographie, Diplomatik und Sphragistik die Methoden der Echtheitsprüfung ppe_077.004 bis zur höchsten Feinheit ausgebildet hat. Die Literaturgeschichte ppe_077.005 des Mittelalters kommt in die Lage, nicht nur für Ausschluß ppe_077.006 von Fälschungen, sondern auch für Datierung und Textkritik ppe_077.007 handschriftlich überlieferter Dichtung dieselben Methoden als eine ppe_077.008 literaturgeschichtliche Hilfswissenschaft in Anwendung zu bringen. ppe_077.009 Und wo die historische Kritik allzu mißtrauisch war, wie bei den ppe_077.010 Dramen der Hrotswith von Gandersheim, die Aschbach als Fälschungen ppe_077.011 des Celtis ansehen wollte, kann sie auf Grund handschriftlicher ppe_077.012 Funde wieder zur Überzeugung von der Echtheit zurückkehren.
ppe_077.013 Läßt sich die Zuverlässigkeit handschriftlicher Überlieferung mittels ppe_077.014 hochentwickelter Prüfungsmethoden beurteilen, so ist wenig geholfen, ppe_077.015 wenn etwas anderes als die Echtheit der Schrift in Frage steht. Es ppe_077.016 kann Fälle geben, bei denen die Schrift gleichgültig ist, während es ppe_077.017 nur auf die Echtheit des Inhalts ankommt. Der Zufall hat es gewollt, ppe_077.018 daß von den beiden größten Werken Goethes die erste Fassung nur in ppe_077.019 fremder Abschrift erhalten ist. Da sich der „Urfaust“ im Nachlaß des ppe_077.020 Fräulein von Göchhausen, der „Urmeister“ in dem der Frau Bäbe ppe_077.021 Schultheß gefunden hat, kann die Identität der Handschrift leicht ppe_077.022 festgestellt werden, und die äußere Zuverlässigkeit der Überlieferung ppe_077.023 steht außer Zweifel. Die innere Zuverlässigkeit ist damit noch nicht ppe_077.024 erwiesen; hier muß erst Übereinstimmung mit den Daten der Entstehungsgeschichte ppe_077.025 hergestellt werden; dann fällt es der sprachlichen ppe_077.026 Untersuchung zu, unter Zuhilfenahme des späteren, umgearbeiteten ppe_077.027 Druckes und unter Heranziehung von Goethes damaligem Sprachgebrauch ppe_077.028 und Stil allerlei Flüchtigkeiten, Auslassungen und Verschreibungen, ppe_077.029 ebenso wie alle orthographischen und mundartlichen Eigentümlichkeiten ppe_077.030 der Abschreiberinnen als ihre Beimischung auszuscheiden, ppe_077.031 um dem Text den Wert der verlorenen Vorlage wiederzugeben, ppe_077.032 für die er Ersatz zu bieten hat.
ppe_077.033 Ebenso wie Fehler der Abschrift auf Grund des späteren Druckes ppe_077.034 zu erkennen sind, könnte auch möglicherweise der Drucktext auf ppe_077.035 Grund der Abschrift zu berichtigen sein. Ein zweifelhafter Fall liegt ppe_077.036 z. B. vor, wenn das Lied Mignons in der Abschrift des „Urmeister“ ppe_077.037 alle drei Strophen mit dem Kehrreim „Möcht' ich mit dir, o mein ppe_077.038 Gebieter ziehn“ schließen läßt. „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ bringen ppe_077.039 statt dessen die Steigerung „Geliebter“, „Beschützer“, „Vater“. War ppe_077.040 nun „Gebieter“ ein Schultheßscher Schreib- oder Lesefehler? Oder ppe_077.041 ist umgekehrt „Geliebter“ ein Fehler des ersten Druckes, dem alle
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Ebenso wie Fehler der Abschrift auf Grund des späteren Druckes ppe_077.034
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/101>, abgerufen am 21.11.2024.
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