ppe_173.001 Sinnestäuschung gar die zarte Königin des Elfenreichs erliegt. Damit ppe_173.002 haben wir noch nicht die ganze Fabel des "Sommernachtstraums", ppe_173.003 sondern erst eine Situation. Das Problem, das im Kernmotiv eingeschlossen ppe_173.004 ist, enthält die Frage nach der Möglichkeit solchen Geschehens. ppe_173.005 Und die Antwort liegt in der Idee, die alles zusammenhält, ppe_173.006 nämlich dem berauschenden Liebeszauber der sommerlichen Hochzeitsnacht.
ppe_173.007
ppe_173.008 Ein anderes Beispiel: Die Situation zweier Liebenden, die sich als ppe_173.009 Kinder von Todfeinden finden, ergibt die in Bandellos Stoffgebung ppe_173.010 überlieferte Fabel für Shakespeares "Romeo und Julia"; der tragische ppe_173.011 Tod der beiden Liebenden, dem der Scheintod des einen vorausgeht, ppe_173.012 enthält das gleiche Motiv wie die im "Sommernachtstraum" ins ppe_173.013 Komische gezogene Fabel von Pyramus und Thisbe. In Kleists ppe_173.014 "Familie Schroffenstein" steigert sich die Motivverkettung der Fabel ppe_173.015 zu einem neuen Ausgang, indem die verblendeten Väter ihre eigenen ppe_173.016 Kinder umbringen; dieser entsetzliche Irrtum ist durch das Motiv des ppe_173.017 Kleidertausches begründet. Die Problemstellung Kleists beruht auf ppe_173.018 der von ihm erlebten Erschütterung über der Kantschen Philosophie, ppe_173.019 die ihn zum Zweifel und zur Verzweiflung an der Zuverlässigkeit ppe_173.020 aller Sinneswahrnehmung, aller Naturerkenntnis und aller Wahrheitsforschung ppe_173.021 geführt hatte. Die Idee ist in einem symbolischen Zug ppe_173.022 angedeutet, da allein der blinde Großvater die Leichen erkennt, weil ppe_173.023 seine Gefühlsgewißheit sicherer zur Wahrheit vordringen kann als ppe_173.024 alles Vertrauen auf den Augenschein.
ppe_173.025 Gottfried Kellers Meisternovelle "Romeo und Julia auf dem Dorfe" ppe_173.026 hat die durch eine Zeitungsnachricht angeregte Fabel wieder auf die ppe_173.027 einfachste Formel gebracht, indem aus der tragischen Verkettung ppe_173.028 alles, was verhängnisvollen Irrtum bedeutete, entfernt wurde. Das ppe_173.029 Problem bestand darin, zu erklären, wie die Feindschaft der Eltern ppe_173.030 zu solcher verbissenen Härte sich auswachsen konnte, daß sie das ppe_173.031 Glück der Kinder vernichtete; die Entwicklung dieses psychologischen ppe_173.032 Problems beginnt mit dem fruchtbaren Motiv des umstrittenen Ackerrains; ppe_173.033 in der Idee führt die Naturkraft zur Überwindung aller Hindernisse, ppe_173.034 indem sie im Freitod die Liebenden ihre Vereinigung finden ppe_173.035 läßt.
ppe_173.036 In Anzengrubers Komödie "Doppelselbstmord" kommt es wiederum ppe_173.037 durch Hinzufügung eines neuen Steigerungsmotivs zur Umbiegung ppe_173.038 ins Heitere. Dadurch, daß die Liebenden es bequem finden, für ihren ppe_173.039 letzten Gruß den Abschiedsbrief eines Selbstmörderpaares aus der ppe_173.040 Zeitung zu übernehmen, führen sie ihre Angehörigen auf die falsche ppe_173.041 Fährte des Doppelselbstmordes. Dieses Problem findet nun aber mit
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/197>, abgerufen am 21.11.2024.
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