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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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materials vorliegt, wie sie etwa für Goethe in den Werken von Rollett, ppe_286.002
Zarncke und Schulte-Strathaus, für Schiller durch O. v. Güntter, ppe_286.003
für die ganze deutsche Literaturgeschichte durch Könnecke unternommen ppe_286.004
worden ist, so wird die damit verbundene Prüfung jedes ppe_286.005
einzelnen Stückes, die Ausscheidung des Unechten, die Anzweiflung ppe_286.006
des Unsicheren, die Feststellung des Ursprünglichen, die Ermittlung ppe_286.007
des Darstellers, seines Könnens und seiner Treue sowie die vergleichende ppe_286.008
Untersuchung etwaiger Abhängigkeit vorausgesetzt. Mit ppe_286.009
der Datierung verbindet sich die Eingliederung in den überlieferten ppe_286.010
Lebensgang und die Beobachtung äußerlicher Wandlung, in der sich ppe_286.011
nicht nur das allmähliche Reifen und Altern, sondern auch der tiefgegrabene ppe_286.012
Eindruck der Erlebnisse und der Wechsel der Lebensstimmungen ppe_286.013
offenbart. Übrig bleibt dann noch die Deutung nicht nur der ppe_286.014
einzelnen Stücke, sondern des ganzen Materials, dem ein physiognomisches ppe_286.015
Gesamtbild der Persönlichkeit, ihrer Ursprünge und ihrer Entwicklung ppe_286.016
abzugewinnen ist.

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In der Auswertung des Materials trennen sich die anthropologischen ppe_286.018
Gesichtspunkte, die auf das Gruppenmäßige und Typische zielen, von ppe_286.019
den literaturwissenschaftlichen, die das Individuelle erfassen sollen. ppe_286.020
Wenn mit einer gewissen Vorliebe die Bilder großer Männer, deren ppe_286.021
Genealogie, Lebensgeschichte, Persönlichkeit und Leistung als bekannt ppe_286.022
gelten, zum Studienmaterial für Rassen- und Stammesforschung ppe_286.023
herangezogen werden, so geschieht es in der Absicht, ihre im Äußeren ppe_286.024
ausgeprägte Wesensart als Baustein für den Beweis typischer und artgemäßer ppe_286.025
geistiger Leistung zu verwerten. Nicht das Verstehen des ppe_286.026
einzelnen und seiner Schöpfungen, das vorausgesetzt wird, sondern ppe_286.027
der Beweis einer Übereinstimmung von Morphologie und Psychologie ppe_286.028
und die Feststellung allgemeiner Zusammenhänge zwischen körperlicher ppe_286.029
und geistiger Ausdrucksform bilden das Ziel. Die Literaturwissenschaft ppe_286.030
dagegen müßte gerade das, was anthropologisch erst ppe_286.031
ermessen werden soll, als gegeben voraussetzen; sie müßte mit den ppe_286.032
unerschütterlich feststehenden Ergebnissen der Rassen- und Stammesforschung ppe_286.033
als Tatsachen rechnen dürfen, sowohl um sie für das verstehende ppe_286.034
Eindringen in die Wesensart eines Dichters zu verwerten als ppe_286.035
auch umgekehrt, um aus Gesinnung und Gestaltungsweise unanfechtbare ppe_286.036
Schlüsse auf die Blutzugehörigkeit ziehen zu können.

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Mangels fester Formeln für das Verhältnis zwischen der körperlichen ppe_286.038
und geistigen Natur des Menschen bleibt die gegenseitige Hilfeleistung ppe_286.039
unsicher. Die Literaturwissenschaft läuft Gefahr, in den von ppe_286.040
Rassen- und Stammesforschung ihr überlieferten Ergebnissen ein allzu ppe_286.041
weitmaschiges Netz von Grundsätzen entgegenzunehmen, während

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Gesamtbild der Persönlichkeit, ihrer Ursprünge und ihrer Entwicklung ppe_286.016
abzugewinnen ist.

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In der Auswertung des Materials trennen sich die anthropologischen ppe_286.018
Gesichtspunkte, die auf das Gruppenmäßige und Typische zielen, von ppe_286.019
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einzelnen und seiner Schöpfungen, das vorausgesetzt wird, sondern ppe_286.027
der Beweis einer Übereinstimmung von Morphologie und Psychologie ppe_286.028
und die Feststellung allgemeiner Zusammenhänge zwischen körperlicher ppe_286.029
und geistiger Ausdrucksform bilden das Ziel. Die Literaturwissenschaft ppe_286.030
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ermessen werden soll, als gegeben voraussetzen; sie müßte mit den ppe_286.032
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als Tatsachen rechnen dürfen, sowohl um sie für das verstehende ppe_286.034
Eindringen in die Wesensart eines Dichters zu verwerten als ppe_286.035
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[286/0310] ppe_286.001 materials vorliegt, wie sie etwa für Goethe in den Werken von Rollett, ppe_286.002 Zarncke und Schulte-Strathaus, für Schiller durch O. v. Güntter, ppe_286.003 für die ganze deutsche Literaturgeschichte durch Könnecke unternommen ppe_286.004 worden ist, so wird die damit verbundene Prüfung jedes ppe_286.005 einzelnen Stückes, die Ausscheidung des Unechten, die Anzweiflung ppe_286.006 des Unsicheren, die Feststellung des Ursprünglichen, die Ermittlung ppe_286.007 des Darstellers, seines Könnens und seiner Treue sowie die vergleichende ppe_286.008 Untersuchung etwaiger Abhängigkeit vorausgesetzt. Mit ppe_286.009 der Datierung verbindet sich die Eingliederung in den überlieferten ppe_286.010 Lebensgang und die Beobachtung äußerlicher Wandlung, in der sich ppe_286.011 nicht nur das allmähliche Reifen und Altern, sondern auch der tiefgegrabene ppe_286.012 Eindruck der Erlebnisse und der Wechsel der Lebensstimmungen ppe_286.013 offenbart. Übrig bleibt dann noch die Deutung nicht nur der ppe_286.014 einzelnen Stücke, sondern des ganzen Materials, dem ein physiognomisches ppe_286.015 Gesamtbild der Persönlichkeit, ihrer Ursprünge und ihrer Entwicklung ppe_286.016 abzugewinnen ist. ppe_286.017 In der Auswertung des Materials trennen sich die anthropologischen ppe_286.018 Gesichtspunkte, die auf das Gruppenmäßige und Typische zielen, von ppe_286.019 den literaturwissenschaftlichen, die das Individuelle erfassen sollen. ppe_286.020 Wenn mit einer gewissen Vorliebe die Bilder großer Männer, deren ppe_286.021 Genealogie, Lebensgeschichte, Persönlichkeit und Leistung als bekannt ppe_286.022 gelten, zum Studienmaterial für Rassen- und Stammesforschung ppe_286.023 herangezogen werden, so geschieht es in der Absicht, ihre im Äußeren ppe_286.024 ausgeprägte Wesensart als Baustein für den Beweis typischer und artgemäßer ppe_286.025 geistiger Leistung zu verwerten. Nicht das Verstehen des ppe_286.026 einzelnen und seiner Schöpfungen, das vorausgesetzt wird, sondern ppe_286.027 der Beweis einer Übereinstimmung von Morphologie und Psychologie ppe_286.028 und die Feststellung allgemeiner Zusammenhänge zwischen körperlicher ppe_286.029 und geistiger Ausdrucksform bilden das Ziel. Die Literaturwissenschaft ppe_286.030 dagegen müßte gerade das, was anthropologisch erst ppe_286.031 ermessen werden soll, als gegeben voraussetzen; sie müßte mit den ppe_286.032 unerschütterlich feststehenden Ergebnissen der Rassen- und Stammesforschung ppe_286.033 als Tatsachen rechnen dürfen, sowohl um sie für das verstehende ppe_286.034 Eindringen in die Wesensart eines Dichters zu verwerten als ppe_286.035 auch umgekehrt, um aus Gesinnung und Gestaltungsweise unanfechtbare ppe_286.036 Schlüsse auf die Blutzugehörigkeit ziehen zu können. ppe_286.037 Mangels fester Formeln für das Verhältnis zwischen der körperlichen ppe_286.038 und geistigen Natur des Menschen bleibt die gegenseitige Hilfeleistung ppe_286.039 unsicher. Die Literaturwissenschaft läuft Gefahr, in den von ppe_286.040 Rassen- und Stammesforschung ihr überlieferten Ergebnissen ein allzu ppe_286.041 weitmaschiges Netz von Grundsätzen entgegenzunehmen, während

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/310>, abgerufen am 22.11.2024.