ppe_307.001 über "Das Dichterporträt in der Literaturgeschichte" anerkennt, ppe_307.002 die historisch orientierte Biographie als "Gefäß für die Dokumente ppe_307.003 des Dichterlebens" den Vorrang. Sie bleibt ein "die Ideen ppe_307.004 nur andeutendes Vorspiel", wenn mit Sammlung und Kritik des biographischen ppe_307.005 Materials eine bisher noch nicht getane Arbeit geleistet ppe_307.006 werden mußte. Sind diese Aufgaben restlos erfüllt, so kann die vollständige ppe_307.007 Wiederholung feststehender Ergebnisse zum lähmenden Ballast ppe_307.008 werden; eine Biographie, die als Nachschlagewerk alles Wissenswerte ppe_307.009 vermitteln will, wie die auf zwölf Bände berechnete Goethe- ppe_307.010 Biographie, die Wilhelm Bode begann, verliert das Wesentliche der ppe_307.011 Erscheinung aus dem Auge und wird unlesbar. Das ist nicht erst eine ppe_307.012 Erfahrung unserer Zeit, sondern schon der alte Christoph Martin Wieland ppe_307.013 hat den klugen Ausspruch getan: "Wo es mir darum zu tun ist, ppe_307.014 zu wissen, was für ein Mann einer war, ist ein einziger Zug, der uns in ppe_307.015 das Innere seines Geistes und Herzens blicken läßt, wichtiger als ganze ppe_307.016 Bogen voll gleichgültiger Begebenheiten -- wiewohl freilich im gewissen ppe_307.017 Sinn an großen Menschen nichts Gleichgültiges ist."
ppe_307.018 Für vollständigen Überblick über den äußeren Verlauf eines bedeutenden ppe_307.019 Lebens gibt es brauchbarere Hilfsmittel, die wissenschaftlicher ppe_307.020 Sammeltätigkeit zu danken sind. Da ist z. B. die von Flodoard Freiherrn ppe_307.021 v. Biedermann knapp zusammengestellte und erweiterungsfähige ppe_307.022 Chronologie "Goethes Leben" oder die von seinem Vater begonnene ppe_307.023 und von ihm neu bearbeitete Sammlung von "Goethes Gesprächen" zu ppe_307.024 nennen. Für Schiller sind die ausführlichen Regesten Ernst Müllers ppe_307.025 vorhanden, die fast jeden Tag des Lebens ausfüllen, sowie die Zusammenstellung ppe_307.026 aller Urkunden und Berichte in dem dreibändigen Werk ppe_307.027 "Schillers Persönlichkeit". Die Tabellen werden gerade dadurch nützlich, ppe_307.028 daß sie auf jede darstellerische Färbung verzichten; außer Kommentierung ppe_307.029 und kritischer Beleuchtung der Zuverlässigkeit jedes Einzelberichts ppe_307.030 verbieten auch die vollständigen Zusammenstellungen des ppe_307.031 Urkundlichen alle persönliche Einmischung des Sammlers.
ppe_307.032 Eine Darstellung, die sich von solchem Rohstoff befreit sieht, darf ppe_307.033 zur Gliederung des Ganzen fortschreiten, die um so klarer herauszuarbeiten ppe_307.034 ist, je mehr die Probleme des Lebens in Zusammenklang ppe_307.035 gebracht werden können mit denen der Dichtung. Endlich winkt als ppe_307.036 letztes Ziel die eindringende Deutung, mit der die Gesamterscheinung ppe_307.037 von ihrem Wesenskern aus erkannt und nach ihrer Lebensidee im ppe_307.038 überzeitlichen Sein erfaßt wird. Damit ist die völlige Überwindung ppe_307.039 des Rohstofflichen erreicht durch eine Gestaltung, der gleichwohl das ppe_307.040 ganze biographische Material in unerläßlicher Vorarbeit zum Unterbau ppe_307.041 dienen muß. Nirgends darf die eigene Auffassung um einer
ppe_307.001 über „Das Dichterporträt in der Literaturgeschichte“ anerkennt, ppe_307.002 die historisch orientierte Biographie als „Gefäß für die Dokumente ppe_307.003 des Dichterlebens“ den Vorrang. Sie bleibt ein „die Ideen ppe_307.004 nur andeutendes Vorspiel“, wenn mit Sammlung und Kritik des biographischen ppe_307.005 Materials eine bisher noch nicht getane Arbeit geleistet ppe_307.006 werden mußte. Sind diese Aufgaben restlos erfüllt, so kann die vollständige ppe_307.007 Wiederholung feststehender Ergebnisse zum lähmenden Ballast ppe_307.008 werden; eine Biographie, die als Nachschlagewerk alles Wissenswerte ppe_307.009 vermitteln will, wie die auf zwölf Bände berechnete Goethe- ppe_307.010 Biographie, die Wilhelm Bode begann, verliert das Wesentliche der ppe_307.011 Erscheinung aus dem Auge und wird unlesbar. Das ist nicht erst eine ppe_307.012 Erfahrung unserer Zeit, sondern schon der alte Christoph Martin Wieland ppe_307.013 hat den klugen Ausspruch getan: „Wo es mir darum zu tun ist, ppe_307.014 zu wissen, was für ein Mann einer war, ist ein einziger Zug, der uns in ppe_307.015 das Innere seines Geistes und Herzens blicken läßt, wichtiger als ganze ppe_307.016 Bogen voll gleichgültiger Begebenheiten — wiewohl freilich im gewissen ppe_307.017 Sinn an großen Menschen nichts Gleichgültiges ist.“
ppe_307.018 Für vollständigen Überblick über den äußeren Verlauf eines bedeutenden ppe_307.019 Lebens gibt es brauchbarere Hilfsmittel, die wissenschaftlicher ppe_307.020 Sammeltätigkeit zu danken sind. Da ist z. B. die von Flodoard Freiherrn ppe_307.021 v. Biedermann knapp zusammengestellte und erweiterungsfähige ppe_307.022 Chronologie „Goethes Leben“ oder die von seinem Vater begonnene ppe_307.023 und von ihm neu bearbeitete Sammlung von „Goethes Gesprächen“ zu ppe_307.024 nennen. Für Schiller sind die ausführlichen Regesten Ernst Müllers ppe_307.025 vorhanden, die fast jeden Tag des Lebens ausfüllen, sowie die Zusammenstellung ppe_307.026 aller Urkunden und Berichte in dem dreibändigen Werk ppe_307.027 „Schillers Persönlichkeit“. Die Tabellen werden gerade dadurch nützlich, ppe_307.028 daß sie auf jede darstellerische Färbung verzichten; außer Kommentierung ppe_307.029 und kritischer Beleuchtung der Zuverlässigkeit jedes Einzelberichts ppe_307.030 verbieten auch die vollständigen Zusammenstellungen des ppe_307.031 Urkundlichen alle persönliche Einmischung des Sammlers.
ppe_307.032 Eine Darstellung, die sich von solchem Rohstoff befreit sieht, darf ppe_307.033 zur Gliederung des Ganzen fortschreiten, die um so klarer herauszuarbeiten ppe_307.034 ist, je mehr die Probleme des Lebens in Zusammenklang ppe_307.035 gebracht werden können mit denen der Dichtung. Endlich winkt als ppe_307.036 letztes Ziel die eindringende Deutung, mit der die Gesamterscheinung ppe_307.037 von ihrem Wesenskern aus erkannt und nach ihrer Lebensidee im ppe_307.038 überzeitlichen Sein erfaßt wird. Damit ist die völlige Überwindung ppe_307.039 des Rohstofflichen erreicht durch eine Gestaltung, der gleichwohl das ppe_307.040 ganze biographische Material in unerläßlicher Vorarbeit zum Unterbau ppe_307.041 dienen muß. Nirgends darf die eigene Auffassung um einer
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/331>, abgerufen am 22.11.2024.
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