ppe_010.001 Es handelt sich um keinen Wald, sondern um einen botanischen ppe_010.002 Garten, der die Fülle vielfältigsten Wachstums in einem alle geographische ppe_010.003 Trennung überwindenden Überblick zu genießender Anschauung ppe_010.004 und vergleichender Betrachtung übermittelt. Wenn dabei ppe_010.005 nach Möglichkeit die Daseinsform jeder Pflanze in einer ihrem ursprünglichen ppe_010.006 Wesen entsprechenden Gestalt erhalten wird, so ist es ppe_010.007 das Ergebnis eines Zusammengehens von Kunst und Wissenschaft. Je ppe_010.008 fremdartiger das Gewächs, desto mehr ist die gärtnerische Pflege ppe_010.009 (und ihr entspricht die Kunst des Übersetzers) auf das vorausgegangene ppe_010.010 wissenschaftliche Studium der geologischen, physiologischen ppe_010.011 und klimatischen Lebensbedingungen, die an Ort und Stelle ppe_010.012 zu erforschen sind, angewiesen.
ppe_010.013 Wie der botanische Garten in Zusammenstellung der ihrem ppe_010.014 Mutterboden entrückten Gewächse die räumliche Trennung aufhebt, ppe_010.015 so bedeutet das Pantheon der Weltliteratur, das Museum der Übersetzungskunst ppe_010.016 eine Überwindung der zeitlichen Trennung. Mit dem ppe_010.017 Verlust ihrer ursprünglichen Sprachform sind die literarischen ppe_010.018 Denkmäler dem geschichtlichen Zusammenhang, dem sie entwachsen ppe_010.019 waren, entzogen. Sie gehören in dieser Form nicht mehr der Geschichte ppe_010.020 ihrer eigenen Literatur an, denn sie tragen das Kleid ppe_010.021 fremden Schrifttums, innerhalb dessen sie nun gleichfalls ihre geschichtliche ppe_010.022 Wirkung ausüben können. Eigentlich aber sind sie durch ppe_010.023 Vervielfältigung ihres Sprachgewandes, durch die Zwischenschaltung ppe_010.024 zwischen zwei oder mehr Literaturen, durch ihre Erklärung zum übernationalen ppe_010.025 Gemeingut überhaupt dem Gebiet der Geschichte entrückt. ppe_010.026 Sie sind in ein neues Sein verpflanzt, dessen ewige Dauer indessen ppe_010.027 keineswegs verbürgt ist. Die Hauptsache ist die Vergegenwärtigung. ppe_010.028 Jede Übersetzung stellt das übertragene Werk auf ppe_010.029 die Probe der Gegenwartswirkung seines Gedankengehalts und ppe_010.030 seiner sprachlichen Form. Am wenigsten tritt die damit verbundene ppe_010.031 Umdeutung in Erscheinung, wenn das übertragene Werk der eigenen ppe_010.032 Zeit und einem verwandten Kulturkreis angehört. Je weiter das ppe_010.033 Original dagegen räumlich und zeitlich entlegen ist, desto mehr ppe_010.034 bedeutet die Arbeit des Übersetzers eine gewaltsame Aktualisierung, ppe_010.035 die trotz oder wegen ihrer Gegenwartsnähe in ihrer Willkürlichkeit ppe_010.036 schneller veraltet als die Urform, die den ihr eignenden Ewigkeitswert ppe_010.037 unveränderlich bewahrt. Übersetzungen müssen im Laufe der ppe_010.038 Zeit immer revidiert und erneuert werden und können, weil ihnen ppe_010.039 nie die Identität mit dem Original erreichbar ist, immer nur eine ppe_010.040 relative Geltung beanspruchen. Schon Cervantes hat die Übersetzung ppe_010.041 mit der Rückseite eines flämischen Gobelins verglichen, und Wilhelm
ppe_010.001 Es handelt sich um keinen Wald, sondern um einen botanischen ppe_010.002 Garten, der die Fülle vielfältigsten Wachstums in einem alle geographische ppe_010.003 Trennung überwindenden Überblick zu genießender Anschauung ppe_010.004 und vergleichender Betrachtung übermittelt. Wenn dabei ppe_010.005 nach Möglichkeit die Daseinsform jeder Pflanze in einer ihrem ursprünglichen ppe_010.006 Wesen entsprechenden Gestalt erhalten wird, so ist es ppe_010.007 das Ergebnis eines Zusammengehens von Kunst und Wissenschaft. Je ppe_010.008 fremdartiger das Gewächs, desto mehr ist die gärtnerische Pflege ppe_010.009 (und ihr entspricht die Kunst des Übersetzers) auf das vorausgegangene ppe_010.010 wissenschaftliche Studium der geologischen, physiologischen ppe_010.011 und klimatischen Lebensbedingungen, die an Ort und Stelle ppe_010.012 zu erforschen sind, angewiesen.
ppe_010.013 Wie der botanische Garten in Zusammenstellung der ihrem ppe_010.014 Mutterboden entrückten Gewächse die räumliche Trennung aufhebt, ppe_010.015 so bedeutet das Pantheon der Weltliteratur, das Museum der Übersetzungskunst ppe_010.016 eine Überwindung der zeitlichen Trennung. Mit dem ppe_010.017 Verlust ihrer ursprünglichen Sprachform sind die literarischen ppe_010.018 Denkmäler dem geschichtlichen Zusammenhang, dem sie entwachsen ppe_010.019 waren, entzogen. Sie gehören in dieser Form nicht mehr der Geschichte ppe_010.020 ihrer eigenen Literatur an, denn sie tragen das Kleid ppe_010.021 fremden Schrifttums, innerhalb dessen sie nun gleichfalls ihre geschichtliche ppe_010.022 Wirkung ausüben können. Eigentlich aber sind sie durch ppe_010.023 Vervielfältigung ihres Sprachgewandes, durch die Zwischenschaltung ppe_010.024 zwischen zwei oder mehr Literaturen, durch ihre Erklärung zum übernationalen ppe_010.025 Gemeingut überhaupt dem Gebiet der Geschichte entrückt. ppe_010.026 Sie sind in ein neues Sein verpflanzt, dessen ewige Dauer indessen ppe_010.027 keineswegs verbürgt ist. Die Hauptsache ist die Vergegenwärtigung. ppe_010.028 Jede Übersetzung stellt das übertragene Werk auf ppe_010.029 die Probe der Gegenwartswirkung seines Gedankengehalts und ppe_010.030 seiner sprachlichen Form. Am wenigsten tritt die damit verbundene ppe_010.031 Umdeutung in Erscheinung, wenn das übertragene Werk der eigenen ppe_010.032 Zeit und einem verwandten Kulturkreis angehört. Je weiter das ppe_010.033 Original dagegen räumlich und zeitlich entlegen ist, desto mehr ppe_010.034 bedeutet die Arbeit des Übersetzers eine gewaltsame Aktualisierung, ppe_010.035 die trotz oder wegen ihrer Gegenwartsnähe in ihrer Willkürlichkeit ppe_010.036 schneller veraltet als die Urform, die den ihr eignenden Ewigkeitswert ppe_010.037 unveränderlich bewahrt. Übersetzungen müssen im Laufe der ppe_010.038 Zeit immer revidiert und erneuert werden und können, weil ihnen ppe_010.039 nie die Identität mit dem Original erreichbar ist, immer nur eine ppe_010.040 relative Geltung beanspruchen. Schon Cervantes hat die Übersetzung ppe_010.041 mit der Rückseite eines flämischen Gobelins verglichen, und Wilhelm
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Wie der botanische Garten in Zusammenstellung der ihrem ppe_010.014
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/34>, abgerufen am 23.11.2024.
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