ppe_456.001 Alle künstlerischen Glaubenssymbole sind nur in übertragenem ppe_456.002 Sinn als existenzielle Entscheidungen eines religiösen Bekenntnisses ppe_456.003 zu werten. Was von philosophischer Seite im Lauf der Jahrtausende ppe_456.004 gegen die Wahrheitsbegriffe der Dichtung eingewandt wurde, auch ppe_456.005 von abgefallenen Dichtern wie Kierkegaard, richtet sich gegen die ppe_456.006 Lässigkeit und Unverbindlichkeit ihrer Symbole, die aus der Glaubenswelt ppe_456.007 in die Gefühlswelt entgleiten.
ppe_456.008 Man kann die religiöse Existenz des Dichters kaum als widerspruchslose ppe_456.009 Einheit begreifen, wenn die ästhetische Sinnbildhaftigkeit ppe_456.010 der Dichtung in seine Bekenntnisse einbezogen wird. Und wenn ppe_456.011 sie ausgeschlossen würde, was bliebe dann vom Dichter übrig?
ppe_456.012 Die Methode, der religiösen Existenz eines Dichters nahe zu kommen, ppe_456.013 kann entweder eine geschichtlich-deskriptive sein, indem alle ppe_456.014 Glaubenszeugnisse aus Leben und Dichtung gesammelt werden, um ppe_456.015 aus ihrer Folge das Bild einer Entwicklung zu gewinnen. Für den ppe_456.016 Kern der religiösen Persönlichkeit wird auf diesem Wege aber kaum ppe_456.017 eine eindeutige Formel gefunden. Auf der anderen Seite bietet sich ppe_456.018 der phänomenologische Weg, alle bekenntnismäßigen Widersprüche ppe_456.019 zu lösen und aufzuheben, um mittels Intuition zur religiösen Existenz ppe_456.020 durchzudringen. Aber die Einheit, die schließlich gefunden wird, ist ppe_456.021 eine subjektive und kann eigentlich nur dadurch Überzeugungskraft ppe_456.022 gewinnen, daß sie auf Grund von Einfühlung zum Eigenbekenntnis ppe_456.023 des Darstellers geworden ist.
ppe_456.024 Selbst beim religiösen Menschen, der in der Glaubensentscheidung ppe_456.025 seine ausschließliche Existenz findet, verhält es sich nicht viel anders ppe_456.026 als beim ästhetischen. Sein Glaube ist mehr zu erfühlen als zu beweisen; ppe_456.027 er muß erlebt werden, um Gestaltung zu finden, und die ppe_456.028 Gestaltung sucht nach Symbolen. Nicht nur ein dichterisches Buch, ppe_456.029 wie das der Ricarda Huch über "Luthers Glaube", das mehr das ppe_456.030 Bekenntnis der Verfasserin als das des Reformators erkennen läßt, ppe_456.031 sondern viele wissenschaftliche Untersuchungen verdanken ihre ppe_456.032 Überzeugungskraft dem persönlichen Einleben in die Glaubenswelt ppe_456.033 des Dargestellten. Auch beim religiösen Menschen kann im übrigen ppe_456.034 seine Existenz nicht von Sendungsbewußtsein und Wirkung losgelöst ppe_456.035 werden.
ppe_456.036 5. Sendung
ppe_456.037 Erfüllt sich die volkhafte Sendung des Dichters in seiner Tat, so ppe_456.038 liegen deren Voraussetzungen in Wort, Sinn und Kraft. Bietet die ppe_456.039 Sprache das Mittel, so verleiht das innere Gesetz den ethischen Willen ppe_456.040 und sittlichen Gehalt; der Glaube aber gibt die Weihe und Kraft
ppe_456.001 Alle künstlerischen Glaubenssymbole sind nur in übertragenem ppe_456.002 Sinn als existenzielle Entscheidungen eines religiösen Bekenntnisses ppe_456.003 zu werten. Was von philosophischer Seite im Lauf der Jahrtausende ppe_456.004 gegen die Wahrheitsbegriffe der Dichtung eingewandt wurde, auch ppe_456.005 von abgefallenen Dichtern wie Kierkegaard, richtet sich gegen die ppe_456.006 Lässigkeit und Unverbindlichkeit ihrer Symbole, die aus der Glaubenswelt ppe_456.007 in die Gefühlswelt entgleiten.
ppe_456.008 Man kann die religiöse Existenz des Dichters kaum als widerspruchslose ppe_456.009 Einheit begreifen, wenn die ästhetische Sinnbildhaftigkeit ppe_456.010 der Dichtung in seine Bekenntnisse einbezogen wird. Und wenn ppe_456.011 sie ausgeschlossen würde, was bliebe dann vom Dichter übrig?
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/480>, abgerufen am 22.11.2024.
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