ppe_026.001 in ihrer Ganzheit als ein nach Sprache, Sitten, Gewohnheiten, ppe_026.002 Temperament, Klima und Akzent seine Gestalt wandelnder Proteus ppe_026.003 unter den Völkern. Den Geist der Literatur auf seiner Wanderung ppe_026.004 durch die Geschichte der Menschheit zu verfolgen, war die Aufgabe, ppe_026.005 in deren Problemstellung die mannigfaltigsten Fragen lagen: "Wie ppe_026.006 hat der Geist der Literatur sich nach den verschiedenen Sprachen ppe_026.007 geändert, in die er eingetreten? Was nahm er von dem an, was er ppe_026.008 vor sich fand? und was entstand für ein Ding aus der Vermischung ppe_026.009 und Gärung so verschiedener Materie?"
ppe_026.010 Vielseitigste Einwirkungen fließen in diesem Aufgabenkreis zusammen. ppe_026.011 Anregungen von Montesquieu, der schon in Bacon und ppe_026.012 Huarte seine Vorläufer hatte, wenn er die Eigentümlichkeit jedes ppe_026.013 Nationalgeistes aus klimatischen und anthropogeographischen Bedingungen ppe_026.014 erklärte, fanden ihr Gegengewicht in der Monadenlehre von ppe_026.015 Leibniz, wonach alle natürlichen Veränderungen einem inneren ppe_026.016 Prinzip entstammten, auf das äußere Ursachen ohne Einfluß waren. ppe_026.017 Dieser Gegensatz einte sich in einer genetischen Betrachtungsweise, ppe_026.018 bei der die Entfaltung der inneren Anlagen von Völkern und Individuen ppe_026.019 als ein immanentes Prinzip literarhistorischer Entwicklung ppe_026.020 erschien und die Analogie ein wichtiger Grundsatz der Deutung ppe_026.021 wurde. Hume und Winckelmann zeigten auf religionsgeschichtlichem ppe_026.022 und kunstgeschichtlichem Gebiet, wie geistige Entwicklungsprozesse ppe_026.023 im Zusammenhang eines Kultursystems zu erfassen waren. Während ppe_026.024 sie auf das Ganze gingen, wies Shaftesbury den Weg zu intuitiver ppe_026.025 Erschließung der Individualität. Die bei Vico vorausgenommene ppe_026.026 Lehre von den Kulturkreisen, deren jeder sein einmaliges Maximum ppe_026.027 im Gleichgewicht der Kräfte und in der vollen Entfaltung aller Anlagen ppe_026.028 erlebte, überwand den geradlinigen Fortschritts- und Vervollkommnungsgedanken ppe_026.029 der Aufklärung. So konnte nach Wartons Vorgang ppe_026.030 auch dem Mittelalter ein gewisses Recht zugeteilt werden. ppe_026.031 An den Anfang der Kultur aber führte die von Hamann übernommene ppe_026.032 Auffassung der Sprache als Urdichtung, durch deren metaphorische ppe_026.033 Hülle bis zu dem Kern der leidenschaftsbewegten Volksseele durchzudringen ppe_026.034 war.
ppe_026.035 Es entsprach nicht der sprunghaften und relativistischen Betrachtungsweise ppe_026.036 Herders, zu einem geschlossenen lehrbaren System zu ppe_026.037 gelangen. Wohl aber sah er von Anfang an die verschiedenen Ziele ppe_026.038 in einem Wechsel analytischer und synthetischer, entwicklungsgeschichtlicher ppe_026.039 und vergleichender Anschauung nebeneinander liegen. ppe_026.040 Die sprachpsychologische Auffassung des Wortkunstwerkes erschien ppe_026.041 als erste Aufgabe. Daran reihte sich die geschichtliche Erkenntnis
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/50>, abgerufen am 21.11.2024.
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