ppe_477.001 mit gewisser Regelmäßigkeit vollziehen, wenn die berufenen Vertreter ppe_477.002 der Gattung, der das Wort der Zeit zufällt, zur Hand sind. ppe_477.003 Denn für den einzelnen bleibt die typische Gattungsveranlagung Voraussetzung. ppe_477.004 Man wird zum Dramatiker, Epiker oder Lyriker geboren, ppe_477.005 und wenn die Entwicklung des episch oder lyrisch veranlagten Dichters ppe_477.006 in eine Zeit dramatischer Konjunktur hineinwächst, so wird er ppe_477.007 entweder von der bevorzugten Gattung sich fernhalten oder Dramen ppe_477.008 epischen oder lyrischen Charakters schreiben. Ein allgemein gültiges ppe_477.009 Gesetz im Geltungswechsel der Gattungen kann nicht erkannt werden. ppe_477.010 Aus dem griechischen Paradigma darf man nicht schließen, daß ppe_477.011 immer und überall auf ein episches Zeitalter ein lyrisches, auf dieses ppe_477.012 ein dramatisches folge und ein didaktisches den Schluß bilde, wie es ppe_477.013 Friedrich Schlegel mit seiner Aufeinanderfolge von dorischer, jonischer, ppe_477.014 attischer und alexandrinischer Schule als Schema aufstellte. ppe_477.015 Die Übernahme dieser Reihenfolge, die durch Ernest Bovet dem ppe_477.016 Wechsel der Tageszeiten verglichen wurde, kann man für ein paar ppe_477.017 Jahrhunderte der französischen Literaturgeschichte allenfalls gelten ppe_477.018 lassen, aber keineswegs für die Dichtung aller Nationen. Noch ppe_477.019 weniger ist die biologische Generationsfolge, in die Brunetiere die ppe_477.020 Gattungen bringen wollte, indem er sie dem menschlichen Lebensgang ppe_477.021 der Geburt, des Wachstums, des Absterbens und des Todes unterwarf, ppe_477.022 als ein literarhistorisches Gesetz anzuerkennen. Die Gattung ist kein ppe_477.023 individuelles Lebewesen, sondern eine relativierende Anschauungsform ppe_477.024 der Dichtung, die als Kennzeichen bei der Analyse des Einzelwerkes, ppe_477.025 bei der Typisierung der Anlage des einzelnen Dichters, wie ppe_477.026 bei dem ersten ordnenden Überblick über die gesamte Überlieferung ppe_477.027 unentbehrliche Dienste tut, aber nicht als Grundstein und Pfeiler für ppe_477.028 den Aufbau des Ganzen verwendbar ist.
ppe_477.029 c) Überwindung der Gattung
ppe_477.030 Es gibt Schöpfungen, die alle herkömmlichen Formbegriffe ppe_477.031 sprengen, weil sie nicht ihresgleichen haben und wegen ihres Größenmaßes ppe_477.032 und Tiefganges gar nicht durch das Schleusenwerk enger Gattungsbestimmung ppe_477.033 hindurchzulotsen sind. Dantes "Divina Commedia" ppe_477.034 bildet eine Gattung für sich, da sie trotz der Beschwörung Virgils ppe_477.035 und der erzählenden Form weder als Epos noch ihrem Titel gemäß ppe_477.036 als Drama noch in ihrem Visionscharakter als Lyrik zu bezeichnen ppe_477.037 ist. Das Werk stellt in sich einen Kosmos dar und bringt den Geist ppe_477.038 eines ganzen Zeitalters in höchster Verklärung zum Ausdruck. Von ppe_477.039 da aus, mehr als vom persönlichen Erlebnis des Dichters, am wenigsten ppe_477.040 aber von dem System textkritischen, genetischen, sprachlichen,
ppe_477.001 mit gewisser Regelmäßigkeit vollziehen, wenn die berufenen Vertreter ppe_477.002 der Gattung, der das Wort der Zeit zufällt, zur Hand sind. ppe_477.003 Denn für den einzelnen bleibt die typische Gattungsveranlagung Voraussetzung. ppe_477.004 Man wird zum Dramatiker, Epiker oder Lyriker geboren, ppe_477.005 und wenn die Entwicklung des episch oder lyrisch veranlagten Dichters ppe_477.006 in eine Zeit dramatischer Konjunktur hineinwächst, so wird er ppe_477.007 entweder von der bevorzugten Gattung sich fernhalten oder Dramen ppe_477.008 epischen oder lyrischen Charakters schreiben. Ein allgemein gültiges ppe_477.009 Gesetz im Geltungswechsel der Gattungen kann nicht erkannt werden. ppe_477.010 Aus dem griechischen Paradigma darf man nicht schließen, daß ppe_477.011 immer und überall auf ein episches Zeitalter ein lyrisches, auf dieses ppe_477.012 ein dramatisches folge und ein didaktisches den Schluß bilde, wie es ppe_477.013 Friedrich Schlegel mit seiner Aufeinanderfolge von dorischer, jonischer, ppe_477.014 attischer und alexandrinischer Schule als Schema aufstellte. ppe_477.015 Die Übernahme dieser Reihenfolge, die durch Ernest Bovet dem ppe_477.016 Wechsel der Tageszeiten verglichen wurde, kann man für ein paar ppe_477.017 Jahrhunderte der französischen Literaturgeschichte allenfalls gelten ppe_477.018 lassen, aber keineswegs für die Dichtung aller Nationen. Noch ppe_477.019 weniger ist die biologische Generationsfolge, in die Brunetière die ppe_477.020 Gattungen bringen wollte, indem er sie dem menschlichen Lebensgang ppe_477.021 der Geburt, des Wachstums, des Absterbens und des Todes unterwarf, ppe_477.022 als ein literarhistorisches Gesetz anzuerkennen. Die Gattung ist kein ppe_477.023 individuelles Lebewesen, sondern eine relativierende Anschauungsform ppe_477.024 der Dichtung, die als Kennzeichen bei der Analyse des Einzelwerkes, ppe_477.025 bei der Typisierung der Anlage des einzelnen Dichters, wie ppe_477.026 bei dem ersten ordnenden Überblick über die gesamte Überlieferung ppe_477.027 unentbehrliche Dienste tut, aber nicht als Grundstein und Pfeiler für ppe_477.028 den Aufbau des Ganzen verwendbar ist.
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/501>, abgerufen am 22.11.2024.
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