ppe_517.001 Der Kunsthistoriker A. E. Brinckmann hat der Zeit die Stellung ppe_517.002 der Probleme, der Gesellschaft die Lieferung der Motive zugeschrieben. ppe_517.003 Um die Dreizahl zu vervollständigen, darf man die Sprache, den ppe_517.004 Stil und den Gehalt aus dem Raum herleiten. Aber nun fehlt noch ppe_517.005 ein viertes, das die drei so verstrickten Glieder zusammenhält. Wenn ppe_517.006 die drei Dimensionen der Gliederung nach Raum, Zeit und Gesellschaft ppe_517.007 in Sprache, Generation und Stand ihre greifbaren Symbole ppe_517.008 finden, so führt eine vierte übersinnliche Dimension zum Geist, der ppe_517.009 von Raum, Zeit und Gesellschaft bestimmt ist und doch in keinem ppe_517.010 dieser Bereiche seinen festgelegten Ort hat. Er kann weder sinnlich ppe_517.011 noch rational begriffen, sondern nur in seinem Wert erfüllt werden. ppe_517.012 Die Aufgabe der Gliederung nach der Kategorie der Relation wird ppe_517.013 abgelöst durch die weit schwerere der Deutung und der Bestimmung ppe_517.014 der Modalität. Die ästhetische Deutung ist in Übereinstimmung ppe_517.015 zu bringen mit der Deutung des Sinnes der Dichtung überhaupt. Wie ppe_517.016 beim einzelnen Dichtwerk liegt in Deutung und Wertung das letzte ppe_517.017 und höchste Ziel. Der Geist der Dichtung, die in allen Formungen ppe_517.018 räumlich, zeitlich und gesellschaftlich bedingt ist, erhebt sich über die ppe_517.019 Grenzen und Abhängigkeiten der drei sinnlichen Dimensionen, sobald ppe_517.020 er nicht zu einem Volke allein in seiner Sprache spricht, sondern ppe_517.021 zur ganzen Menschheit, nicht zu einem Zeitalter, sondern zu Jahrtausenden, ppe_517.022 nicht zu einer Gesellschaft, sondern zur Gesamtheit aller ppe_517.023 Stände.
ppe_517.024 Die Weltdichtung bedeutet schließlich eine große geistige Einheit, ppe_517.025 die dem Leben überhaupt, aus dem sie hervorgegangen ist, gegenübersteht. ppe_517.026 Heben sich aus der in ihren Grundlagen kaum übersehbaren ppe_517.027 Masse überragende Gipfel heraus, die sich gegenseitig grüßen, so sind ppe_517.028 sie die eigentlichen Repräsentanten der Dichtung. Aus ihrer Betrachtung ppe_517.029 ist aber zugleich der höchste Begriff der Dichtkunst zu gewinnen. ppe_517.030 Die großen Dichter erscheinen nach Wilhelm Diltheys Wort ppe_517.031 als "Seher der Menschheit" und stellen eine Gemeinschaft dar, die ppe_517.032 hinausragt über die ursprungsgemäße Zugehörigkeit zu bestimmten ppe_517.033 Sprachen, die vielleicht nur noch in ihnen lebendig sind, zu Ländern, ppe_517.034 Zeiten und Völkern, die wir in ihnen suchen müssen, zu einer gesellschaftlichen ppe_517.035 Umwelt, die wir nicht mehr kennen. Nirgends wird das ppe_517.036 materialistische Schlagwort einer "histoire sans noms" widersinniger ppe_517.037 als auf der höchsten Höhe, wo die Geschichte aufhört, wo der Geist ppe_517.038 sich personifiziert in der Dichtung und die Dichtung in ihren großen ppe_517.039 Schöpfern.
ppe_517.040 Dies Reich, in dem die größten Dichter leben, ohne entwurzelt zu ppe_517.041 sein, ist nicht etwa das Reich der Schatten oder das Reich der Formen,
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Der Kunsthistoriker A. E. Brinckmann hat der Zeit die Stellung ppe_517.002
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/541>, abgerufen am 22.11.2024.
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