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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Begriff der Kraft. Sie fand ihr Wirkungsfeld in der Dichtkunst. ppe_521.002
Zwischen den Raumkünsten und den Zeitkünsten sollte die ppe_521.003
Poesie ihren eigenen Platz einnehmen, da ihr durch die Kraft der ppe_521.004
Worte, durch den in sie gelegten Sinn und durch die innere Kraft der ppe_521.005
Seele eine Herrschaft in Raum und Zeit zugleich zufiel. Die Wirkung ppe_521.006
der Plastik und Malerei vollzog sich im Raum und durch den Raum, ppe_521.007
die der Musik durch die Zeit in die Zeit, aber die Wirkung der Poesie ppe_521.008
nahm ihren Weg aus dem Raum in die Zeit.

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Es war, von einer anderen Seite gesehen, dieselbe Einteilung, die ppe_521.010
Kants "Kritik der Urteilskraft" zwischen bildender, redender und ppe_521.011
Kunst des schönen Spiels der Empfindungen traf nach einer weiteren ppe_521.012
Dreiheit der Ausdrucksmittel, der Ausdrucksarten und des Ausdrucksinhalts. ppe_521.013
Die Dichtkunst fand ihr Ausdrucksmittel im Wort, ihre Ausdrucksart ppe_521.014
in der Artikulation, ihren Ausdrucksinhalt in Gedanken. ppe_521.015
Im Gegensatz zu Herder hat Kant die Ausdrucksformen von Raum ppe_521.016
und Zeit, die im Bereich der reinen Vernunft unbestimmbaren Umfang ppe_521.017
und Inhalt hatten, nicht auf die Künste angewandt, aber er vermied ppe_521.018
es auch, in der Kraft ein nicht ganz entsprechendes Drittes ppe_521.019
zwischen Zeit und Raum zu stellen. Kraft waltet ja auch in der Zeitkunst ppe_521.020
der Musik (nach Kant dem schönen Spiel der Empfindungen) ppe_521.021
und ist nicht allein der Dichtkunst vorbehalten. Eindeutiger hätte ppe_521.022
von der Einbildungskraft als Antrieb, Spielraum und Verlauf der ppe_521.023
dichterischen Wortkunst gesprochen werden können. In diesem Sinne ppe_521.024
hat spätere Ästhetik (Vischer, Volkelt) den Begriff der Phantasiesinnlichkeit ppe_521.025
eingeführt, die an Stelle der unmittelbaren optischen ppe_521.026
oder akustischen Eindrücke der anderen Künste alle Sinnesbereiche ppe_521.027
beherrsche und gleicherweise Raum und Zeit in ungehemmter Entfaltung ppe_521.028
ausfülle.

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An Kant schloß sich Schiller an, als er in der "Huldigung der ppe_521.030
Künste" die Unbegrenztheit der Poesie hervorhob:

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Mein unermeßlich Reich ist der Gedanke, ppe_521.032
Und mein geflügelt Werkzeug ist das Wort.
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In den vorausgehenden Versen war trotzdem eine räumliche Beziehung ppe_521.034
hergestellt, wenn die Dichtung zwar nicht in den einheitlichen ppe_521.035
und unendlichen Raum versetzt wurde, aber sich rühmen ppe_521.036
durfte, in fortschreitend sich ausbreitender Bewegung alle Räume zu ppe_521.037
durchmessen:

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Mich hält kein Band, mich fesselt keine Schranke, ppe_521.039
Frei schwing' ich mich durch alle Räume fort.

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Es war, von einer anderen Seite gesehen, dieselbe Einteilung, die ppe_521.010
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der Musik (nach Kant dem schönen Spiel der Empfindungen) ppe_521.021
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An Kant schloß sich Schiller an, als er in der „Huldigung der ppe_521.030
Künste“ die Unbegrenztheit der Poesie hervorhob:

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Mein unermeßlich Reich ist der Gedanke, ppe_521.032
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In den vorausgehenden Versen war trotzdem eine räumliche Beziehung ppe_521.034
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[521/0545] ppe_521.001 Begriff der Kraft. Sie fand ihr Wirkungsfeld in der Dichtkunst. ppe_521.002 Zwischen den Raumkünsten und den Zeitkünsten sollte die ppe_521.003 Poesie ihren eigenen Platz einnehmen, da ihr durch die Kraft der ppe_521.004 Worte, durch den in sie gelegten Sinn und durch die innere Kraft der ppe_521.005 Seele eine Herrschaft in Raum und Zeit zugleich zufiel. Die Wirkung ppe_521.006 der Plastik und Malerei vollzog sich im Raum und durch den Raum, ppe_521.007 die der Musik durch die Zeit in die Zeit, aber die Wirkung der Poesie ppe_521.008 nahm ihren Weg aus dem Raum in die Zeit. ppe_521.009 Es war, von einer anderen Seite gesehen, dieselbe Einteilung, die ppe_521.010 Kants „Kritik der Urteilskraft“ zwischen bildender, redender und ppe_521.011 Kunst des schönen Spiels der Empfindungen traf nach einer weiteren ppe_521.012 Dreiheit der Ausdrucksmittel, der Ausdrucksarten und des Ausdrucksinhalts. ppe_521.013 Die Dichtkunst fand ihr Ausdrucksmittel im Wort, ihre Ausdrucksart ppe_521.014 in der Artikulation, ihren Ausdrucksinhalt in Gedanken. ppe_521.015 Im Gegensatz zu Herder hat Kant die Ausdrucksformen von Raum ppe_521.016 und Zeit, die im Bereich der reinen Vernunft unbestimmbaren Umfang ppe_521.017 und Inhalt hatten, nicht auf die Künste angewandt, aber er vermied ppe_521.018 es auch, in der Kraft ein nicht ganz entsprechendes Drittes ppe_521.019 zwischen Zeit und Raum zu stellen. Kraft waltet ja auch in der Zeitkunst ppe_521.020 der Musik (nach Kant dem schönen Spiel der Empfindungen) ppe_521.021 und ist nicht allein der Dichtkunst vorbehalten. Eindeutiger hätte ppe_521.022 von der Einbildungskraft als Antrieb, Spielraum und Verlauf der ppe_521.023 dichterischen Wortkunst gesprochen werden können. In diesem Sinne ppe_521.024 hat spätere Ästhetik (Vischer, Volkelt) den Begriff der Phantasiesinnlichkeit ppe_521.025 eingeführt, die an Stelle der unmittelbaren optischen ppe_521.026 oder akustischen Eindrücke der anderen Künste alle Sinnesbereiche ppe_521.027 beherrsche und gleicherweise Raum und Zeit in ungehemmter Entfaltung ppe_521.028 ausfülle. ppe_521.029 An Kant schloß sich Schiller an, als er in der „Huldigung der ppe_521.030 Künste“ die Unbegrenztheit der Poesie hervorhob: ppe_521.031 Mein unermeßlich Reich ist der Gedanke, ppe_521.032 Und mein geflügelt Werkzeug ist das Wort. ppe_521.033 In den vorausgehenden Versen war trotzdem eine räumliche Beziehung ppe_521.034 hergestellt, wenn die Dichtung zwar nicht in den einheitlichen ppe_521.035 und unendlichen Raum versetzt wurde, aber sich rühmen ppe_521.036 durfte, in fortschreitend sich ausbreitender Bewegung alle Räume zu ppe_521.037 durchmessen: ppe_521.038 Mich hält kein Band, mich fesselt keine Schranke, ppe_521.039 Frei schwing' ich mich durch alle Räume fort.

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/545>, abgerufen am 22.11.2024.