ppe_057.001 des "Demetrius" und "Warbeck" kreiste. In Kleists "Peter der Einsiedler", ppe_057.002 von dem wir nur den Titel überliefert haben, gewinnen wir ppe_057.003 durch den Stoffkreis eine Vorstufe zum "Robert Guiskard". Aber gar ppe_057.004 nichts anfangen können wir mit der Nachricht über einen ausgeführten ppe_057.005 zweibändigen Roman Kleists, solange das Manuskript nicht auftaucht. ppe_057.006 Das Suchen nach solcher verlorenen Handschrift zieht oft ppe_057.007 dilettantische Mißgriffe nach sich und läßt Kuckuckseier in das Nest ppe_057.008 des Dichters gelangen, wie es mit der Unterschiebung von Weidmanns ppe_057.009 "Faust" bei Lessing, des Altonaer "Josef" beim jungen Goethe oder ppe_057.010 Tiecks "Vittoria Accorombona" bei Kleist geschehen ist. Mit der ppe_057.011 Widerlegung solcher Fehlfunde hat sich die Forschung dann eine ppe_057.012 Zeitlang zu beschäftigen, und diese an sich unfruchtbare Arbeit kann, ppe_057.013 wie es beim "Josef" der Fall war, wenigstens die Methode der Verfasserbestimmung ppe_057.014 fördern. (Vgl. S. 79 f.)
ppe_057.015 Die halb psychologistische, halb mystische Theorie, die das Sprachkunstwerk ppe_057.016 nur als Medium und Brücke zwischen der Phantasie des ppe_057.017 Dichters und dem Wiederaufbau in der Phantasie des Lesers gelten ppe_057.018 lassen will, muß die eigentliche Dichtung als unerreichbares Ding an ppe_057.019 sich auffassen. Denn wenn die Tatsache des unterschiedlichen Verstehens, ppe_057.020 die als Ungleichheit aller Konkretisierungen in Erscheinung ppe_057.021 tritt, eine vollkommene, objektive Gleichstellung zwischen Leser und ppe_057.022 Dichter ausschließt, so kann auch der Literarhistoriker bei aller Einfühlungsgabe ppe_057.023 und Fähigkeit zur Nachdichtung, die von ihm verlangt ppe_057.024 wird, nicht die Identität mit dem Schöpfer erreichen, die dazu nötig ppe_057.025 wäre, das Ideal, das in der Seele des Dichters lag, herauszuarbeiten. ppe_057.026 Er hat sich an das zu halten, was ihm zugänglich ist, und das sind ppe_057.027 zunächst die überlieferten Texte. Sie stellen Papiergeld dar, Schatzanweisungen ppe_057.028 und Wechsel, die einzulösen und als gemünzte Werte in ppe_057.029 Umlauf zu setzen sind; aus der Papierform lebloser Buchstaben, in ppe_057.030 die sie einfroren, müssen die Literaturwerke befreit werden. Die ppe_057.031 lebendige Sprachform, die ihren Sinn und Wert erschließt, ist wiederherzustellen. ppe_057.032 Die schriftliche Überlieferung ist eine Verpuppung, ein ppe_057.033 Schlummerzustand der Literatur. Die Bibliotheken sind also nicht ppe_057.034 nur Schatzkammern, sondern Schlafkammern für die Schriftwerke, ppe_057.035 die darauf warten, geweckt zu werden. Manche sind immer wach und ppe_057.036 lebendig; manche sind schlafwandelnd unterwegs; manche treten wie ppe_057.037 die Siebenschläfer der orientalischen Legende erst nach tausend ppe_057.038 Jahren aus ihrer Höhle; manche sind in ewigen Schlummer versenkt ppe_057.039 und durch den Lethestrom der Vergessenheit vom Leben getrennt.
ppe_057.040 Der Bibliothekswissenschaft fällt der Wachdienst zu, der alles ppe_057.041 Schrifttum mit gleicher Sorgfalt betreut. Die Literaturwissenschaft,
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/81>, abgerufen am 21.11.2024.
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