ppe_059.001 geistige Einheit ist gelockert; es trennen sich die Erdteile und die ppe_059.002 Rassen; die englische Literatur Amerikas, Indiens, Australiens beginnt ppe_059.003 sich in bodenständiger Eigenkultur zu verselbständigen. Gleiches gilt ppe_059.004 vom spanischen und portugiesischen Südamerika. Dagegen kann die ppe_059.005 auslanddeutsche Dichtung, die fern vom geschlossenen Sprachgebiet ppe_059.006 ihr Leben führt, der deutschen Literaturgeschichte einverleibt bleiben, ppe_059.007 und zwar nicht nur in einzelnen Vertretern, die noch mit dem Mutterland ppe_059.008 in enger Beziehung stehen, sondern in Stadt- und Adelskulturen, ppe_059.009 wie in den ehemaligen russischen Ostseeprovinzen, und in bäuerlichen ppe_059.010 Volkstumsgruppen, die in Südrußland, in Siebenbürgen, in Pennsylvanien, ppe_059.011 in Texas mit Sprache, Brauch und Sitte auch ihr altes Lied ppe_059.012 sich erhielten. Diese deutsche Literatur fremder Länder kann trotz ppe_059.013 der geographischen und politischen Ferne in ihrer konservierenden ppe_059.014 und produzierenden Funktion noch als Ausstrahlung der deutschen ppe_059.015 Nationalliteratur betrachtet werden. Andererseits besteht aller Anlaß, ppe_059.016 daß eine Geschichte der amerikanischen Nationalliteratur, sobald sie ppe_059.017 einmal in großem Umfang geschrieben wird, die Einwandererdichtung ppe_059.018 mitberücksichtigt.
ppe_059.019 Ein schwieriger Grenzfall stellt sich dar, wenn Auswanderer die ppe_059.020 Laute ihrer Heimat aufgegeben haben, ohne daß die Sprache ihres ppe_059.021 Blutes damit ausgelöscht werden konnte. Als Nachwirkung der Völkerwanderung ppe_059.022 macht sich in Kunst und Literatur des Südens noch jahrhundertelang ppe_059.023 das Blut der Goten, Vandalen, Langobarden und anderer ppe_059.024 germanischer Stämme bemerkbar, die in fremdem Volkstum aufgegangen ppe_059.025 sind. Nicht anders ist es mit Normannen und Burgundern in ppe_059.026 Frankreich. Die Feststellung der Rassenmerkmale dieser verlorenen ppe_059.027 Söhne des germanischen Geistes fällt in den Bereich der Romania. ppe_059.028 Die deutsche Literaturgeschichte dagegen muß suchen, auf ihrem ppe_059.029 Sprachgebiet das fremdstämmige Element zu erkennen. Es handelt ppe_059.030 sich dabei nicht nur um Schriftsteller jüdischen Blutes, deren Rasse ppe_059.031 in Weltanschauung und Stil am leichtesten bemerkbar sein wird, sondern ppe_059.032 auch um romanische oder slavische Abkunft (Moscherosch, de ppe_059.033 la Motte Fouque, Fontane, Nietzsche), deren Wesensart Fremdartiges ppe_059.034 analysieren läßt und in der Blutmischung ihre Erklärung findet.
ppe_059.035 Eine Zugehörigkeit zu mehreren Nationalliteraturen kommt den ppe_059.036 Werken zu, die durch künstlerische Neuschöpfung in einer anderen ppe_059.037 Sprache Bürgerrecht erhalten haben. Sie gehören nach ihrem geistigen ppe_059.038 Gehalt dem Lande ihres Ursprungs an, nach ihrer letzten sprachlichen ppe_059.039 Form dem Lande, das sie zu Gaste lud. So wenig Homer, Shakespeare, ppe_059.040 Dante durch Übersetzungen eine Beeinträchtigung ihres Platzes ppe_059.041 in der griechischen, englischen und italienischen Literatur erfahren,
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/83>, abgerufen am 21.11.2024.
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