ppe_062.001 kam später seine eigene Darstellung dieser Forderung kaum nach, ppe_062.002 aber Richard Heinzel übte trotzdem an der Literaturgeschichte seines ppe_062.003 Freundes Kritik, weil sie nicht reine Kunstgeschichte im Sinne ppe_062.004 Winckelmannscher Stilperiodisierung, sondern Geschichte des geistigen ppe_062.005 Lebens geboten habe. Ein ähnlicher Standpunkt ist neuerdings häufiger ppe_062.006 vertreten worden, indem man den Ausdruck Literaturgeschichte ppe_062.007 durch "Dichtungsgeschichte" zu ersetzen vorschlug. Das bedeutet nicht ppe_062.008 nur Eindeutschung; als solche hätte das Wort "Geschichte des Schrifttums" ppe_062.009 genügt; sondern es sollte ein Gegenstück zu Kunstgeschichte ppe_062.010 und Musikgeschichte sein. Dabei wurde aber zu wenig beachtet, ppe_062.011 wieviel enger als jene Künste die Dichtung mit philosophischer und ppe_062.012 religiöser Literatur durch gleiche Themen und gleiche sprachliche ppe_062.013 Ausdrucksmittel verbunden ist. Auf geistesgeschichtlicher Seite setzte ppe_062.014 denn auch der lebhafteste Widerspruch ein bei Rudolf Unger und ppe_062.015 besonders bei Herbert Cysarz, der an Stelle der "törichten Trennungsversuche" ppe_062.016 die fortschreitende Erkundung der Wechselbeziehungen ppe_062.017 treten lassen will als "Einsicht, daß jegliches Bild der Dichtung an ppe_062.018 letzten Erkenntniswerten, zumindest letzten Fragen der Erkenntnis ppe_062.019 teilhabe, daß anderseits jegliche Philosophie, jegliche Wissenschaft ppe_062.020 des Menschen und der Welt, auch die ästhetische Sphäre einschließe".
ppe_062.021 Das führt zu Fragen der Deutung und Darstellung, die späteren ppe_062.022 Erörterungen vorzubehalten sind. Um was es sich zunächst handelt, ppe_062.023 ist die Abgrenzung des überlieferten Stoffes, wobei das Verhältnis ppe_062.024 zwischen "Dichtung" und "Literatur" zu klären ist. "Literatur" gilt ppe_062.025 selbst in der Fassung "schöne Literatur", die einen Abstand von der ppe_062.026 "wissenschaftlichen Literatur" herstellt, allgemein als der weitere ppe_062.027 Begriff, so daß alle Dichtung als schöne Literatur, aber keineswegs ppe_062.028 alle schöne Literatur als Dichtung genommen wird. Ein davon abweichender ppe_062.029 Versuch Hermann Hefeles, Dichtung als persönliche und ppe_062.030 private Angelegenheit eines liberalistischen Subjektivismus, Literatur ppe_062.031 dagegen als Ausdruck des volkhaften Gemeinschaftserlebnisses zu ppe_062.032 erklären mit dem Verlangen, daß alle Dichtung Literatur werde, ppe_062.033 widersprach so vollständig dem herkömmlichen Sprachgebrauch, daß ppe_062.034 er sich nicht durchsetzen konnte.
ppe_062.035 Allerdings ist eine Erweiterung des Begriffes "Dichtung" geschichtlich ppe_062.036 zu beobachten. Die augenfällige Trennung von metrischer und ppe_062.037 prosaischer Sprachform spielt heute nicht mehr die Rolle wie in ppe_062.038 früherer Ästhetik. Noch Joh. Joach. Eschenburgs "Theorie und Literatur ppe_062.039 der schönen Wissenschaften" (1789) sonderte beispielsweise ppe_062.040 den Roman von den epischen Dichtungsarten ab und stellte ihn mit ppe_062.041 Charakteren, Biographien und Historie zusammen zur Rhetorik.
ppe_062.001 kam später seine eigene Darstellung dieser Forderung kaum nach, ppe_062.002 aber Richard Heinzel übte trotzdem an der Literaturgeschichte seines ppe_062.003 Freundes Kritik, weil sie nicht reine Kunstgeschichte im Sinne ppe_062.004 Winckelmannscher Stilperiodisierung, sondern Geschichte des geistigen ppe_062.005 Lebens geboten habe. Ein ähnlicher Standpunkt ist neuerdings häufiger ppe_062.006 vertreten worden, indem man den Ausdruck Literaturgeschichte ppe_062.007 durch „Dichtungsgeschichte“ zu ersetzen vorschlug. Das bedeutet nicht ppe_062.008 nur Eindeutschung; als solche hätte das Wort „Geschichte des Schrifttums“ ppe_062.009 genügt; sondern es sollte ein Gegenstück zu Kunstgeschichte ppe_062.010 und Musikgeschichte sein. Dabei wurde aber zu wenig beachtet, ppe_062.011 wieviel enger als jene Künste die Dichtung mit philosophischer und ppe_062.012 religiöser Literatur durch gleiche Themen und gleiche sprachliche ppe_062.013 Ausdrucksmittel verbunden ist. Auf geistesgeschichtlicher Seite setzte ppe_062.014 denn auch der lebhafteste Widerspruch ein bei Rudolf Unger und ppe_062.015 besonders bei Herbert Cysarz, der an Stelle der „törichten Trennungsversuche“ ppe_062.016 die fortschreitende Erkundung der Wechselbeziehungen ppe_062.017 treten lassen will als „Einsicht, daß jegliches Bild der Dichtung an ppe_062.018 letzten Erkenntniswerten, zumindest letzten Fragen der Erkenntnis ppe_062.019 teilhabe, daß anderseits jegliche Philosophie, jegliche Wissenschaft ppe_062.020 des Menschen und der Welt, auch die ästhetische Sphäre einschließe“.
ppe_062.021 Das führt zu Fragen der Deutung und Darstellung, die späteren ppe_062.022 Erörterungen vorzubehalten sind. Um was es sich zunächst handelt, ppe_062.023 ist die Abgrenzung des überlieferten Stoffes, wobei das Verhältnis ppe_062.024 zwischen „Dichtung“ und „Literatur“ zu klären ist. „Literatur“ gilt ppe_062.025 selbst in der Fassung „schöne Literatur“, die einen Abstand von der ppe_062.026 „wissenschaftlichen Literatur“ herstellt, allgemein als der weitere ppe_062.027 Begriff, so daß alle Dichtung als schöne Literatur, aber keineswegs ppe_062.028 alle schöne Literatur als Dichtung genommen wird. Ein davon abweichender ppe_062.029 Versuch Hermann Hefeles, Dichtung als persönliche und ppe_062.030 private Angelegenheit eines liberalistischen Subjektivismus, Literatur ppe_062.031 dagegen als Ausdruck des volkhaften Gemeinschaftserlebnisses zu ppe_062.032 erklären mit dem Verlangen, daß alle Dichtung Literatur werde, ppe_062.033 widersprach so vollständig dem herkömmlichen Sprachgebrauch, daß ppe_062.034 er sich nicht durchsetzen konnte.
ppe_062.035 Allerdings ist eine Erweiterung des Begriffes „Dichtung“ geschichtlich ppe_062.036 zu beobachten. Die augenfällige Trennung von metrischer und ppe_062.037 prosaischer Sprachform spielt heute nicht mehr die Rolle wie in ppe_062.038 früherer Ästhetik. Noch Joh. Joach. Eschenburgs „Theorie und Literatur ppe_062.039 der schönen Wissenschaften“ (1789) sonderte beispielsweise ppe_062.040 den Roman von den epischen Dichtungsarten ab und stellte ihn mit ppe_062.041 Charakteren, Biographien und Historie zusammen zur Rhetorik.
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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