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Pfizer, Gustav: Die deutsche Einheit und der Preußenhaß. Stuttgart, 1849.

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Man darf hoffen, daß, wenn das Ministerium seine Vorlagen an
die Stände zu machen hat in Betreff der Beschickung des beabsichtigten
Reichstags, dann bei genauerer Erwägung der ganzen Sachlage die
positiven Vortheile eines, für die Erhaltung der kleinern Staaten
unerläßlichen Bundesstaats, wie ihn die preußische Verfassung aufstellt,
über den schillernden Schimmer eines nur in schwankenden Umrissen
"vorschwebenden" Gesammt- oder Großdeutschlands, -- d. h. eines
Staatenbundes unter zwei, drei, fünf oder sieben Regenten, mit
ewigem Dualismus und Antagonismus im Innern, -- daß die klare
politische Idee über die patriotische Phantasie nnd die Antipathie siegen
werde! Ist ja doch Römer sonst nicht der Mann der Phantasie und des
Gefühls, sondern des Verstandes! Sollte er sich hier verläugnen? Sollte
nicht, nach reiflicher Prüfung sein scharfes Auge am Ende doch den
Kern erkennen, der sich hinter den gleißenden Schaalen der angeblichen
Sorge um die Erhaltung der Freiheit, oder des Schutzes der materiel-
len und industriellen Interessen biegt, -- den faulen Kern der Selbstsucht,
der Leidenschaft, des Neides, des Sondergeistes?

Nur kurz mögen noch einige oft gehörte Einwendungen gegen den
Anschluß an Preußen berührt werden. Wenn einmal eine Großmacht an
die Spitze Deutschlands gestellt werden soll, sagt man, so sey es doch lieber
das Haus Habsburg, welches die vielhundertjährige Gewohnheit und
Tradition, somit ein gewisses historisches Recht für sich hat, als das
junge Haus Hohenzollern, dieser Emporkömmling unter den Dyna-
stien! -- Das mag im Munde von Aristokraten, die auf alte Stamm-
bäume halten, sich hören lassen; aber als ein Argument freisinniger,
unbefangener Männer klingt es seltsam, das "historische Recht" hier
anzurufen. "Das Alte stürzt, es ändern sich die Zeiten!"
sagt der Dichter; und auch im Leben der Völker, obwohl darin die-
selben
Gesetze immer walten, kehrt doch nie das Alte in gleicher
Gestalt wieder. Gerade durch seine vielhundertjährige Herrschaft über
Deutschland hat der östreichische Stamm seine Sendung erfüllt, und die
Vorstandschaft kommt jetzt, naturgemäß, an diejenige Macht, die sich
immer mehr in Deutschland hineingelebt hat, während Oestreich sich
Deutschland immer mehr entfremdete. Eine neue Aera Deutschlands,
als Bundesstaat, kann nur unter den Auspicien einer jugendlichen Macht,
wie Preußen, beginnen.

"Im April haben wir uns dem Könige von Preußen, als deutschem
Kaiser, mit Selbstverläugnung unterwerfen wollen; er hat die Krone
damals abgelehnt; jetzt wollen wir nun und nimmermehr!" sagen An-
dere. Aber wenn Ihr es damals aus vernünftiger Ueberlegung, aus

Man darf hoffen, daß, wenn das Miniſterium ſeine Vorlagen an
die Stände zu machen hat in Betreff der Beſchickung des beabſichtigten
Reichstags, dann bei genauerer Erwägung der ganzen Sachlage die
poſitiven Vortheile eines, für die Erhaltung der kleinern Staaten
unerläßlichen Bundesſtaats, wie ihn die preußiſche Verfaſſung aufſtellt,
über den ſchillernden Schimmer eines nur in ſchwankenden Umriſſen
„vorſchwebenden“ Geſammt- oder Großdeutſchlands, — d. h. eines
Staatenbundes unter zwei, drei, fünf oder ſieben Regenten, mit
ewigem Dualismus und Antagonismus im Innern, — daß die klare
politiſche Idee über die patriotiſche Phantaſie nnd die Antipathie ſiegen
werde! Iſt ja doch Römer ſonſt nicht der Mann der Phantaſie und des
Gefühls, ſondern des Verſtandes! Sollte er ſich hier verläugnen? Sollte
nicht, nach reiflicher Prüfung ſein ſcharfes Auge am Ende doch den
Kern erkennen, der ſich hinter den gleißenden Schaalen der angeblichen
Sorge um die Erhaltung der Freiheit, oder des Schutzes der materiel-
len und induſtriellen Intereſſen biegt, — den faulen Kern der Selbſtſucht,
der Leidenſchaft, des Neides, des Sondergeiſtes?

Nur kurz mögen noch einige oft gehörte Einwendungen gegen den
Anſchluß an Preußen berührt werden. Wenn einmal eine Großmacht an
die Spitze Deutſchlands geſtellt werden ſoll, ſagt man, ſo ſey es doch lieber
das Haus Habsburg, welches die vielhundertjährige Gewohnheit und
Tradition, ſomit ein gewiſſes hiſtoriſches Recht für ſich hat, als das
junge Haus Hohenzollern, dieſer Emporkömmling unter den Dyna-
ſtien! — Das mag im Munde von Ariſtokraten, die auf alte Stamm-
bäume halten, ſich hören laſſen; aber als ein Argument freiſinniger,
unbefangener Männer klingt es ſeltſam, das „hiſtoriſche Recht“ hier
anzurufen. „Das Alte ſtürzt, es ändern ſich die Zeiten!“
ſagt der Dichter; und auch im Leben der Völker, obwohl darin die-
ſelben
Geſetze immer walten, kehrt doch nie das Alte in gleicher
Geſtalt wieder. Gerade durch ſeine vielhundertjährige Herrſchaft über
Deutſchland hat der öſtreichiſche Stamm ſeine Sendung erfüllt, und die
Vorſtandſchaft kommt jetzt, naturgemäß, an diejenige Macht, die ſich
immer mehr in Deutſchland hineingelebt hat, während Oeſtreich ſich
Deutſchland immer mehr entfremdete. Eine neue Aera Deutſchlands,
als Bundesſtaat, kann nur unter den Auſpicien einer jugendlichen Macht,
wie Preußen, beginnen.

„Im April haben wir uns dem Könige von Preußen, als deutſchem
Kaiſer, mit Selbſtverläugnung unterwerfen wollen; er hat die Krone
damals abgelehnt; jetzt wollen wir nun und nimmermehr!“ ſagen An-
dere. Aber wenn Ihr es damals aus vernünftiger Ueberlegung, aus

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[23/0033] Man darf hoffen, daß, wenn das Miniſterium ſeine Vorlagen an die Stände zu machen hat in Betreff der Beſchickung des beabſichtigten Reichstags, dann bei genauerer Erwägung der ganzen Sachlage die poſitiven Vortheile eines, für die Erhaltung der kleinern Staaten unerläßlichen Bundesſtaats, wie ihn die preußiſche Verfaſſung aufſtellt, über den ſchillernden Schimmer eines nur in ſchwankenden Umriſſen „vorſchwebenden“ Geſammt- oder Großdeutſchlands, — d. h. eines Staatenbundes unter zwei, drei, fünf oder ſieben Regenten, mit ewigem Dualismus und Antagonismus im Innern, — daß die klare politiſche Idee über die patriotiſche Phantaſie nnd die Antipathie ſiegen werde! Iſt ja doch Römer ſonſt nicht der Mann der Phantaſie und des Gefühls, ſondern des Verſtandes! Sollte er ſich hier verläugnen? Sollte nicht, nach reiflicher Prüfung ſein ſcharfes Auge am Ende doch den Kern erkennen, der ſich hinter den gleißenden Schaalen der angeblichen Sorge um die Erhaltung der Freiheit, oder des Schutzes der materiel- len und induſtriellen Intereſſen biegt, — den faulen Kern der Selbſtſucht, der Leidenſchaft, des Neides, des Sondergeiſtes? Nur kurz mögen noch einige oft gehörte Einwendungen gegen den Anſchluß an Preußen berührt werden. Wenn einmal eine Großmacht an die Spitze Deutſchlands geſtellt werden ſoll, ſagt man, ſo ſey es doch lieber das Haus Habsburg, welches die vielhundertjährige Gewohnheit und Tradition, ſomit ein gewiſſes hiſtoriſches Recht für ſich hat, als das junge Haus Hohenzollern, dieſer Emporkömmling unter den Dyna- ſtien! — Das mag im Munde von Ariſtokraten, die auf alte Stamm- bäume halten, ſich hören laſſen; aber als ein Argument freiſinniger, unbefangener Männer klingt es ſeltſam, das „hiſtoriſche Recht“ hier anzurufen. „Das Alte ſtürzt, es ändern ſich die Zeiten!“ ſagt der Dichter; und auch im Leben der Völker, obwohl darin die- ſelben Geſetze immer walten, kehrt doch nie das Alte in gleicher Geſtalt wieder. Gerade durch ſeine vielhundertjährige Herrſchaft über Deutſchland hat der öſtreichiſche Stamm ſeine Sendung erfüllt, und die Vorſtandſchaft kommt jetzt, naturgemäß, an diejenige Macht, die ſich immer mehr in Deutſchland hineingelebt hat, während Oeſtreich ſich Deutſchland immer mehr entfremdete. Eine neue Aera Deutſchlands, als Bundesſtaat, kann nur unter den Auſpicien einer jugendlichen Macht, wie Preußen, beginnen. „Im April haben wir uns dem Könige von Preußen, als deutſchem Kaiſer, mit Selbſtverläugnung unterwerfen wollen; er hat die Krone damals abgelehnt; jetzt wollen wir nun und nimmermehr!“ ſagen An- dere. Aber wenn Ihr es damals aus vernünftiger Ueberlegung, aus

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Zitationshilfe: Pfizer, Gustav: Die deutsche Einheit und der Preußenhaß. Stuttgart, 1849, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfizer_einheit_1849/33>, abgerufen am 29.04.2024.