Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

gilt im weitesten Sinne! Denn die organische Form ist nicht
zweckmässig, weil sie ist, sondern sie ist, weil sie zweckmässig
ist. -- Aus der Zweckmässigkeit lässt sich kein Beweis construi¬
ren. -- Diejenigen Autoren hingegen, welche dem Rückenmarke
die sensorische Function absprachen, steiften sich ganz beson¬
ders auf die Gesetzmässigkeit, welche sich in den Bewegungen
Enthaupteter ausspricht. Sie bedachten nicht, dass sie ja noch
nicht bewiesen hätten, dass die sensorische Function selbst nicht
ein Erfolgen nach Gesetzen, d. h. eine Gesetzmässigkeit zulasse.
Derartige problematische Prämissen über die Natur der "Seele"
sind fortwährend von den Autoren als Grundstein ihrer Beweise
beansprucht.

In vielen Beziehungen indessen ist es nicht gleichgültig
für die Erkenntniss der Bewegungen Enthaupteter, welchen
Standpunkt man einnimmt in Hinsicht der Ansicht über die
Natur sensorischer Thätigkeit. Hier bin ich denn offen und ohne
Rückhalt mit meiner Ueberzeugung herausgetreten, den einmal
angenommenen Standpunkt als den meinigen bezeichnend und
dem Götzen die Opfer verweigernd, welche ihm Aberglauben
und Unverstand in so reichem Maasse darbringen.

Das Bewusstsein ist Leben und Werden. Ihm kommt kein
Sein zu. Leben ist Bewegung. Die Ursachen, welche diesem
Leben zu Grunde liegen, sind bestimmte, welche nicht Grund
sein können, dass in einem und demselben Zeitdifferential Etwas
geschehe und zugleich auch nicht geschehe. Diese Bewegung,
die Bewusstsein genannt wird, ist ein Theil des Ganzen, dieses

gilt im weitesten Sinne! Denn die organische Form ist nicht
zweckmässig, weil sie ist, sondern sie ist, weil sie zweckmässig
ist. — Aus der Zweckmässigkeit lässt sich kein Beweis construi¬
ren. — Diejenigen Autoren hingegen, welche dem Rückenmarke
die sensorische Function absprachen, steiften sich ganz beson¬
ders auf die Gesetzmässigkeit, welche sich in den Bewegungen
Enthaupteter ausspricht. Sie bedachten nicht, dass sie ja noch
nicht bewiesen hätten, dass die sensorische Function selbst nicht
ein Erfolgen nach Gesetzen, d. h. eine Gesetzmässigkeit zulasse.
Derartige problematische Prämissen über die Natur der „Seele“
sind fortwährend von den Autoren als Grundstein ihrer Beweise
beansprucht.

In vielen Beziehungen indessen ist es nicht gleichgültig
für die Erkenntniss der Bewegungen Enthaupteter, welchen
Standpunkt man einnimmt in Hinsicht der Ansicht über die
Natur sensorischer Thätigkeit. Hier bin ich denn offen und ohne
Rückhalt mit meiner Ueberzeugung herausgetreten, den einmal
angenommenen Standpunkt als den meinigen bezeichnend und
dem Götzen die Opfer verweigernd, welche ihm Aberglauben
und Unverstand in so reichem Maasse darbringen.

Das Bewusstsein ist Leben und Werden. Ihm kommt kein
Sein zu. Leben ist Bewegung. Die Ursachen, welche diesem
Leben zu Grunde liegen, sind bestimmte, welche nicht Grund
sein können, dass in einem und demselben Zeitdifferential Etwas
geschehe und zugleich auch nicht geschehe. Diese Bewegung,
die Bewusstsein genannt wird, ist ein Theil des Ganzen, dieses

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018" n="X"/>
gilt im weitesten Sinne! Denn die organische Form ist nicht<lb/>
zweckmässig, weil sie ist, sondern sie ist, weil sie zweckmässig<lb/>
ist. &#x2014; Aus der Zweckmässigkeit lässt sich kein Beweis construi¬<lb/>
ren. &#x2014; Diejenigen Autoren hingegen, welche dem Rückenmarke<lb/>
die sensorische Function absprachen, steiften sich ganz beson¬<lb/>
ders auf die Gesetzmässigkeit, welche sich in den Bewegungen<lb/>
Enthaupteter ausspricht. Sie bedachten nicht, dass sie ja noch<lb/>
nicht bewiesen hätten, dass die sensorische Function selbst nicht<lb/>
ein Erfolgen nach Gesetzen, d. h. eine Gesetzmässigkeit zulasse.<lb/>
Derartige problematische Prämissen über die Natur der &#x201E;Seele&#x201C;<lb/>
sind fortwährend von den Autoren als Grundstein ihrer Beweise<lb/>
beansprucht.</p><lb/>
        <p>In vielen Beziehungen indessen ist es nicht gleichgültig<lb/>
für die Erkenntniss der Bewegungen Enthaupteter, welchen<lb/>
Standpunkt man einnimmt in Hinsicht der Ansicht über die<lb/>
Natur sensorischer Thätigkeit. Hier bin ich denn offen und ohne<lb/>
Rückhalt mit meiner Ueberzeugung herausgetreten, den einmal<lb/>
angenommenen Standpunkt als den meinigen bezeichnend und<lb/>
dem Götzen die Opfer verweigernd, welche ihm Aberglauben<lb/>
und Unverstand in so reichem Maasse darbringen.</p><lb/>
        <p>Das Bewusstsein ist Leben und Werden. Ihm kommt kein<lb/>
Sein zu. Leben ist Bewegung. Die Ursachen, welche diesem<lb/>
Leben zu Grunde liegen, sind bestimmte, welche nicht Grund<lb/>
sein können, dass in einem und demselben Zeitdifferential Etwas<lb/>
geschehe und zugleich auch nicht geschehe. Diese Bewegung,<lb/>
die Bewusstsein genannt wird, ist ein Theil des Ganzen, dieses<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[X/0018] gilt im weitesten Sinne! Denn die organische Form ist nicht zweckmässig, weil sie ist, sondern sie ist, weil sie zweckmässig ist. — Aus der Zweckmässigkeit lässt sich kein Beweis construi¬ ren. — Diejenigen Autoren hingegen, welche dem Rückenmarke die sensorische Function absprachen, steiften sich ganz beson¬ ders auf die Gesetzmässigkeit, welche sich in den Bewegungen Enthaupteter ausspricht. Sie bedachten nicht, dass sie ja noch nicht bewiesen hätten, dass die sensorische Function selbst nicht ein Erfolgen nach Gesetzen, d. h. eine Gesetzmässigkeit zulasse. Derartige problematische Prämissen über die Natur der „Seele“ sind fortwährend von den Autoren als Grundstein ihrer Beweise beansprucht. In vielen Beziehungen indessen ist es nicht gleichgültig für die Erkenntniss der Bewegungen Enthaupteter, welchen Standpunkt man einnimmt in Hinsicht der Ansicht über die Natur sensorischer Thätigkeit. Hier bin ich denn offen und ohne Rückhalt mit meiner Ueberzeugung herausgetreten, den einmal angenommenen Standpunkt als den meinigen bezeichnend und dem Götzen die Opfer verweigernd, welche ihm Aberglauben und Unverstand in so reichem Maasse darbringen. Das Bewusstsein ist Leben und Werden. Ihm kommt kein Sein zu. Leben ist Bewegung. Die Ursachen, welche diesem Leben zu Grunde liegen, sind bestimmte, welche nicht Grund sein können, dass in einem und demselben Zeitdifferential Etwas geschehe und zugleich auch nicht geschehe. Diese Bewegung, die Bewusstsein genannt wird, ist ein Theil des Ganzen, dieses

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/18
Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/18>, abgerufen am 23.11.2024.