Wo Jedermann vorüber muß, weil nahe dran ein schmaler Steg; Und keck behauptet diese Sphinx, es hätte sie gesandt Apoll, Ein fehlerloses Distichon zu heischen hier als Straßenzoll. Wer nun ein fehlerhaftes bringt, den stürzt sie gleich hinab die Kluft, Und diese ward dem größten Theil der Stadt bereits zur Todtengruft; Doch wird ein wahres Distichon ihr dargebracht, so will sogleich Sie selbst sich stürzen in den Schlund, und Friede kehrt in dieses Reich.
Jokaste. Was giebt es Leichtres wohl als das? Ich schicke hier die beiden Kind.
Kind. Jedoch bedenke, Königin, daß auch die Sänger Menschen sind, Und Irren menschlich ist! So hat ein Recensent mich jüngst geputzt, Blos weil ich Holzklotzpflock einmal als einen Daktylus benutzt.
Jokaste. Dergleichen kommt ja täglich vor, seit man in Theben Verse leimt, So las ich einen Dichter jüngst, der Löwe gar auf Schläfe reimt!
Kindeskind. Und freu'n auf Wein! Wir sind noch nicht die Letzten, laß uns, Bruder, gehn,
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Wo Jedermann voruͤber muß, weil nahe dran ein ſchmaler Steg; Und keck behauptet dieſe Sphinx, es haͤtte ſie geſandt Apoll, Ein fehlerloſes Diſtichon zu heiſchen hier als Straßenzoll. Wer nun ein fehlerhaftes bringt, den ſtuͤrzt ſie gleich hinab die Kluft, Und dieſe ward dem groͤßten Theil der Stadt bereits zur Todtengruft; Doch wird ein wahres Diſtichon ihr dargebracht, ſo will ſogleich Sie ſelbſt ſich ſtuͤrzen in den Schlund, und Friede kehrt in dieſes Reich.
Jokaſte. Was giebt es Leichtres wohl als das? Ich ſchicke hier die beiden Kind.
Kind. Jedoch bedenke, Koͤnigin, daß auch die Saͤnger Menſchen ſind, Und Irren menſchlich iſt! So hat ein Recenſent mich juͤngſt geputzt, Blos weil ich Holzklotzpflock einmal als einen Daktylus benutzt.
Jokaſte. Dergleichen kommt ja taͤglich vor, ſeit man in Theben Verſe leimt, So las ich einen Dichter juͤngſt, der Loͤwe gar auf Schlaͤfe reimt!
Kindeskind. Und freu'n auf Wein! Wir ſind noch nicht die Letzten, laß uns, Bruder, gehn,
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Wo Jedermann voruͤber muß, weil nahe dran ein ſchmaler
Steg;
Und keck behauptet dieſe Sphinx, es haͤtte ſie geſandt Apoll,
Ein fehlerloſes Diſtichon zu heiſchen hier als Straßenzoll.
Wer nun ein fehlerhaftes bringt, den ſtuͤrzt ſie gleich hinab
die Kluft,
Und dieſe ward dem groͤßten Theil der Stadt bereits zur
Todtengruft;
Doch wird ein wahres Diſtichon ihr dargebracht, ſo will
ſogleich
Sie ſelbſt ſich ſtuͤrzen in den Schlund, und Friede kehrt in
dieſes Reich.
Jokaſte.
Was giebt es Leichtres wohl als das? Ich ſchicke hier die beiden
Kind.
Kind.
Jedoch bedenke, Koͤnigin, daß auch die Saͤnger Menſchen
ſind,
Und Irren menſchlich iſt! So hat ein Recenſent mich juͤngſt
geputzt,
Blos weil ich Holzklotzpflock einmal als einen Daktylus
benutzt.
Jokaſte.
Dergleichen kommt ja taͤglich vor, ſeit man in Theben Verſe
leimt,
So las ich einen Dichter juͤngſt, der Loͤwe gar auf Schlaͤfe
reimt!
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Und freu'n auf Wein! Wir ſind noch nicht die Letzten, laß
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Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/57>, abgerufen am 11.02.2025.
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