Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_347.001
dem sicher führenden Jnstinkte und der sich von ihrem ppo_347.002
Ziele entfernenden Freiheit eine große Wirkung ppo_347.003
hervorgebracht werden.

ppo_347.004

Doch gehört als unnachläßliche Bedingung dazu, ppo_347.005
daß die Fabel in ästhetischer Hinsicht nach der Einheit ppo_347.006
ihrer Form vollendet sey, so daß diese Form ppo_347.007
um ihrer selbst willen, auch abgesehen von dem im ppo_347.008
Stoffe enthaltenen Jndividuum, gefällt. Die Fabel ppo_347.009
soll nämlich die höchste Anschaulichkeit und Lebendigkeit ppo_347.010
der in ihr verhüllten Wahrheit bewirken, und ppo_347.011
deshalb soll die Hülle, welche das Gegenbild des ppo_347.012
wirklich gemeinten Gegenstandes enthält, das Gepräge ppo_347.013
der möglichst höchsten ästhetischen Vollendung ppo_347.014
an sich tragen. Daraus folgt von selbst, daß nur ppo_347.015
diejenige Fabel den Charakter eines dichterischen ppo_347.016
Kunstwerkes
behauptet, welche in ästhetischer ppo_347.017
Einheit vollendet ist, so wie viele sehr gut gemeinte ppo_347.018
Fabeln (z. B. für Kinder berechnet) in pädagogischer ppo_347.019
Hinsicht brauchbar seyn können, ohne doch die Forderungen ppo_347.020
des gereiften Geschmacks an die ästhetische ppo_347.021
Gediegenheit der Form zu befriedigen.

ppo_347.022
50. ppo_347.023
Beispiele der Fabel.
ppo_347.024

1) von Bonerius (der in der zweiten Hälfte ppo_347.025
des 14ten Jahrhunderts lebte).

ppo_347.026
Ein Fuchz hungern began, ppo_347.027
Unter einen hohen Boum er kan, ppo_347.028
Uf den ein rapp kam gepflogen ppo_347.029
Mit einem Kes gezogen, ppo_347.030
Den er geroubet hatte do; ppo_347.031
Des was der Fuchz unmassen fro. ppo_347.032
Do in der Fuchz erst an sach,

ppo_347.001
dem sicher führenden Jnstinkte und der sich von ihrem ppo_347.002
Ziele entfernenden Freiheit eine große Wirkung ppo_347.003
hervorgebracht werden.

ppo_347.004

Doch gehört als unnachläßliche Bedingung dazu, ppo_347.005
daß die Fabel in ästhetischer Hinsicht nach der Einheit ppo_347.006
ihrer Form vollendet sey, so daß diese Form ppo_347.007
um ihrer selbst willen, auch abgesehen von dem im ppo_347.008
Stoffe enthaltenen Jndividuum, gefällt. Die Fabel ppo_347.009
soll nämlich die höchste Anschaulichkeit und Lebendigkeit ppo_347.010
der in ihr verhüllten Wahrheit bewirken, und ppo_347.011
deshalb soll die Hülle, welche das Gegenbild des ppo_347.012
wirklich gemeinten Gegenstandes enthält, das Gepräge ppo_347.013
der möglichst höchsten ästhetischen Vollendung ppo_347.014
an sich tragen. Daraus folgt von selbst, daß nur ppo_347.015
diejenige Fabel den Charakter eines dichterischen ppo_347.016
Kunstwerkes
behauptet, welche in ästhetischer ppo_347.017
Einheit vollendet ist, so wie viele sehr gut gemeinte ppo_347.018
Fabeln (z. B. für Kinder berechnet) in pädagogischer ppo_347.019
Hinsicht brauchbar seyn können, ohne doch die Forderungen ppo_347.020
des gereiften Geschmacks an die ästhetische ppo_347.021
Gediegenheit der Form zu befriedigen.

ppo_347.022
50. ppo_347.023
Beispiele der Fabel.
ppo_347.024

1) von Bonerius (der in der zweiten Hälfte ppo_347.025
des 14ten Jahrhunderts lebte).

ppo_347.026
Ein Fuchz hungern began, ppo_347.027
Unter einen hohen Boum er kan, ppo_347.028
Uf den ein rapp kam gepflogen ppo_347.029
Mit einem Kes gezogen, ppo_347.030
Den er geroubet hatte do; ppo_347.031
Des was der Fuchz unmassen fro. ppo_347.032
Do in der Fuchz erst an sach,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0359" n="347"/><lb n="ppo_347.001"/>dem sicher führenden Jnstinkte und der sich von ihrem <lb n="ppo_347.002"/>Ziele entfernenden Freiheit eine große Wirkung <lb n="ppo_347.003"/>hervorgebracht werden.</p>
          <lb n="ppo_347.004"/>
          <p>  Doch gehört als unnachläßliche Bedingung dazu, <lb n="ppo_347.005"/>daß die Fabel in ästhetischer Hinsicht nach der Einheit <lb n="ppo_347.006"/>ihrer Form vollendet sey, so daß diese Form <lb n="ppo_347.007"/>um ihrer selbst willen, auch abgesehen von dem im <lb n="ppo_347.008"/>Stoffe enthaltenen Jndividuum, gefällt. Die Fabel <lb n="ppo_347.009"/>soll nämlich die höchste Anschaulichkeit und Lebendigkeit <lb n="ppo_347.010"/>der in ihr verhüllten Wahrheit bewirken, und <lb n="ppo_347.011"/>deshalb soll die Hülle, welche das Gegenbild des <lb n="ppo_347.012"/>wirklich gemeinten Gegenstandes enthält, das Gepräge <lb n="ppo_347.013"/>der möglichst höchsten ästhetischen Vollendung <lb n="ppo_347.014"/>an sich tragen. Daraus folgt von selbst, daß nur <lb n="ppo_347.015"/>diejenige Fabel den Charakter eines <hi rendition="#g">dichterischen <lb n="ppo_347.016"/>Kunstwerkes</hi> behauptet, welche in ästhetischer <lb n="ppo_347.017"/>Einheit vollendet ist, so wie viele sehr gut gemeinte <lb n="ppo_347.018"/>Fabeln (z. B. für Kinder berechnet) in pädagogischer <lb n="ppo_347.019"/>Hinsicht brauchbar seyn können, ohne doch die Forderungen <lb n="ppo_347.020"/>des gereiften Geschmacks an die ästhetische <lb n="ppo_347.021"/>Gediegenheit der Form zu befriedigen.</p>
        </div>
        <div n="2">
          <lb n="ppo_347.022"/>
          <head> <hi rendition="#c">50. <lb n="ppo_347.023"/><hi rendition="#g">Beispiele der Fabel.</hi></hi> </head>
          <lb n="ppo_347.024"/>
          <p> <hi rendition="#et">1) von <hi rendition="#g">Bonerius</hi> (der in der zweiten Hälfte <lb n="ppo_347.025"/>des 14ten Jahrhunderts lebte).</hi> </p>
          <lb n="ppo_347.026"/>
          <lg>
            <l>  Ein Fuchz hungern began,</l>
            <lb n="ppo_347.027"/>
            <l>Unter einen hohen Boum er kan,</l>
            <lb n="ppo_347.028"/>
            <l>Uf den ein rapp kam gepflogen</l>
            <lb n="ppo_347.029"/>
            <l>Mit einem Kes gezogen,</l>
            <lb n="ppo_347.030"/>
            <l>Den er geroubet hatte do;</l>
            <lb n="ppo_347.031"/>
            <l>Des was der Fuchz unmassen fro.</l>
            <lb n="ppo_347.032"/>
            <l>Do in der Fuchz erst an sach,</l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0359] ppo_347.001 dem sicher führenden Jnstinkte und der sich von ihrem ppo_347.002 Ziele entfernenden Freiheit eine große Wirkung ppo_347.003 hervorgebracht werden. ppo_347.004 Doch gehört als unnachläßliche Bedingung dazu, ppo_347.005 daß die Fabel in ästhetischer Hinsicht nach der Einheit ppo_347.006 ihrer Form vollendet sey, so daß diese Form ppo_347.007 um ihrer selbst willen, auch abgesehen von dem im ppo_347.008 Stoffe enthaltenen Jndividuum, gefällt. Die Fabel ppo_347.009 soll nämlich die höchste Anschaulichkeit und Lebendigkeit ppo_347.010 der in ihr verhüllten Wahrheit bewirken, und ppo_347.011 deshalb soll die Hülle, welche das Gegenbild des ppo_347.012 wirklich gemeinten Gegenstandes enthält, das Gepräge ppo_347.013 der möglichst höchsten ästhetischen Vollendung ppo_347.014 an sich tragen. Daraus folgt von selbst, daß nur ppo_347.015 diejenige Fabel den Charakter eines dichterischen ppo_347.016 Kunstwerkes behauptet, welche in ästhetischer ppo_347.017 Einheit vollendet ist, so wie viele sehr gut gemeinte ppo_347.018 Fabeln (z. B. für Kinder berechnet) in pädagogischer ppo_347.019 Hinsicht brauchbar seyn können, ohne doch die Forderungen ppo_347.020 des gereiften Geschmacks an die ästhetische ppo_347.021 Gediegenheit der Form zu befriedigen. ppo_347.022 50. ppo_347.023 Beispiele der Fabel. ppo_347.024 1) von Bonerius (der in der zweiten Hälfte ppo_347.025 des 14ten Jahrhunderts lebte). ppo_347.026 Ein Fuchz hungern began, ppo_347.027 Unter einen hohen Boum er kan, ppo_347.028 Uf den ein rapp kam gepflogen ppo_347.029 Mit einem Kes gezogen, ppo_347.030 Den er geroubet hatte do; ppo_347.031 Des was der Fuchz unmassen fro. ppo_347.032 Do in der Fuchz erst an sach,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/359
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/359>, abgerufen am 26.11.2024.