der Komtesse rätselhaft waren. Das hatte ihr jene natürliche Schärfe der Sinne und der Instinkte gegeben, wie sie etwa der Wilde vor dem zivilisierten Menschen voraus hat.
Dieses Verhältnis hatte sich nun freilich in den letzten Jahren verschoben.
Wer die beiden Mädchen jetzt neben einander sah, Pauline, in ihr Konfirmationskleid gezwängt, mit plumpen Schuhen, unter ihrem neuen Hute, dessen aufdringlicher Blütenschmuck ihre bräunliche Hautfarbe schändete, dazu die schlechte Haltung des Oberkörpers, der an das, wahrscheinlich viel zu enge, Korsett nicht gewöhnt war, die Haltung der Arme, die wohl zur Arbeit kräftig waren, die sich aber hier im Boudoir ihrer eigenen Kraft zu schämen schienen -- und dieser ländlichen Schönheit gegenüber nun die andere, mit ihrem stolzen Ge¬ sichtsschnitt, der edlen Kopfform, den verfeinerten, wie ge¬ meißelten Zügen, dem unbewußten Ausdruck von Überlegen¬ heit in Blick und Lächeln, mit durchsichtigem Teint und schlanken, weißen Händen, alles gepflegt und gleichsam von Vornehmheit duftend, wie sie sich leicht und sicher bewegte, -- wer diese beiden Gestalten verglich, mußte die Über¬ legenheit erkennen, welche alte Kultur dem edel Geborenen, von Geburtswegen, über den Menschen der großen Masse giebt.
Die Umgebung paßte zu Komtesse Ida. Dieses Zimmer mit seiner diskreten Besonderheit schien ein Abdruck ihres Wesens zu sein. Da war nichts Prunkhaftes, Kokettes oder Flatterhaftes; und doch war es das Zimmer eines jungen Mädchens. Dem Blumentische, den Wandbildern, den Photo¬ graphien auf dem Schreibtische sah man den gewählten Ge¬ schmack und die wertende Liebe an, mit der die Besitzerin alles verschönte, was zu ihr in Beziehung stand.
Allmählich wirkte auch auf Pauline der beruhigende, er¬ wärmende Einfluß dieser Persönlichkeit. Die teilnahmsvolle Erkundigung der Komtesse nach ihren Schicksalen löste ihr die Zunge. Ida schien mit ihren Worten, die durchaus einfach und ohne jede Feierlichkeit waren, viel mehr zu sagen, als
der Komteſſe rätſelhaft waren. Das hatte ihr jene natürliche Schärfe der Sinne und der Inſtinkte gegeben, wie ſie etwa der Wilde vor dem ziviliſierten Menſchen voraus hat.
Dieſes Verhältnis hatte ſich nun freilich in den letzten Jahren verſchoben.
Wer die beiden Mädchen jetzt neben einander ſah, Pauline, in ihr Konfirmationskleid gezwängt, mit plumpen Schuhen, unter ihrem neuen Hute, deſſen aufdringlicher Blütenſchmuck ihre bräunliche Hautfarbe ſchändete, dazu die ſchlechte Haltung des Oberkörpers, der an das, wahrſcheinlich viel zu enge, Korſett nicht gewöhnt war, die Haltung der Arme, die wohl zur Arbeit kräftig waren, die ſich aber hier im Boudoir ihrer eigenen Kraft zu ſchämen ſchienen — und dieſer ländlichen Schönheit gegenüber nun die andere, mit ihrem ſtolzen Ge¬ ſichtsſchnitt, der edlen Kopfform, den verfeinerten, wie ge¬ meißelten Zügen, dem unbewußten Ausdruck von Überlegen¬ heit in Blick und Lächeln, mit durchſichtigem Teint und ſchlanken, weißen Händen, alles gepflegt und gleichſam von Vornehmheit duftend, wie ſie ſich leicht und ſicher bewegte, — wer dieſe beiden Geſtalten verglich, mußte die Über¬ legenheit erkennen, welche alte Kultur dem edel Geborenen, von Geburtswegen, über den Menſchen der großen Maſſe giebt.
Die Umgebung paßte zu Komteſſe Ida. Dieſes Zimmer mit ſeiner diskreten Beſonderheit ſchien ein Abdruck ihres Weſens zu ſein. Da war nichts Prunkhaftes, Kokettes oder Flatterhaftes; und doch war es das Zimmer eines jungen Mädchens. Dem Blumentiſche, den Wandbildern, den Photo¬ graphien auf dem Schreibtiſche ſah man den gewählten Ge¬ ſchmack und die wertende Liebe an, mit der die Beſitzerin alles verſchönte, was zu ihr in Beziehung ſtand.
Allmählich wirkte auch auf Pauline der beruhigende, er¬ wärmende Einfluß dieſer Perſönlichkeit. Die teilnahmsvolle Erkundigung der Komteſſe nach ihren Schickſalen löſte ihr die Zunge. Ida ſchien mit ihren Worten, die durchaus einfach und ohne jede Feierlichkeit waren, viel mehr zu ſagen, als
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der Komteſſe rätſelhaft waren. Das hatte ihr jene natürliche
Schärfe der Sinne und der Inſtinkte gegeben, wie ſie etwa der
Wilde vor dem ziviliſierten Menſchen voraus hat.
Dieſes Verhältnis hatte ſich nun freilich in den letzten
Jahren verſchoben.
Wer die beiden Mädchen jetzt neben einander ſah, Pauline,
in ihr Konfirmationskleid gezwängt, mit plumpen Schuhen,
unter ihrem neuen Hute, deſſen aufdringlicher Blütenſchmuck
ihre bräunliche Hautfarbe ſchändete, dazu die ſchlechte Haltung
des Oberkörpers, der an das, wahrſcheinlich viel zu enge,
Korſett nicht gewöhnt war, die Haltung der Arme, die wohl
zur Arbeit kräftig waren, die ſich aber hier im Boudoir ihrer
eigenen Kraft zu ſchämen ſchienen — und dieſer ländlichen
Schönheit gegenüber nun die andere, mit ihrem ſtolzen Ge¬
ſichtsſchnitt, der edlen Kopfform, den verfeinerten, wie ge¬
meißelten Zügen, dem unbewußten Ausdruck von Überlegen¬
heit in Blick und Lächeln, mit durchſichtigem Teint und
ſchlanken, weißen Händen, alles gepflegt und gleichſam von
Vornehmheit duftend, wie ſie ſich leicht und ſicher bewegte,
— wer dieſe beiden Geſtalten verglich, mußte die Über¬
legenheit erkennen, welche alte Kultur dem edel Geborenen,
von Geburtswegen, über den Menſchen der großen Maſſe
giebt.
Die Umgebung paßte zu Komteſſe Ida. Dieſes Zimmer
mit ſeiner diskreten Beſonderheit ſchien ein Abdruck ihres
Weſens zu ſein. Da war nichts Prunkhaftes, Kokettes oder
Flatterhaftes; und doch war es das Zimmer eines jungen
Mädchens. Dem Blumentiſche, den Wandbildern, den Photo¬
graphien auf dem Schreibtiſche ſah man den gewählten Ge¬
ſchmack und die wertende Liebe an, mit der die Beſitzerin
alles verſchönte, was zu ihr in Beziehung ſtand.
Allmählich wirkte auch auf Pauline der beruhigende, er¬
wärmende Einfluß dieſer Perſönlichkeit. Die teilnahmsvolle
Erkundigung der Komteſſe nach ihren Schickſalen löſte ihr die
Zunge. Ida ſchien mit ihren Worten, die durchaus einfach
und ohne jede Feierlichkeit waren, viel mehr zu ſagen, als
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/116>, abgerufen am 27.11.2024.
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