Gustav gab sich jedoch dieser Forderung wegen nicht allzu schweren Besorgnissen hin. Er konnte sich nicht denken, daß sein Onkel Ernst machen würde mit dem Ausklagen. Nicht etwa, daß er Kaschelernst eine solche Härte gegen den eigenen Schwager nicht zugetraut hätte; er kannte den Kretschamwirt nur zu gut. Nein, er glaubte, daß der es nicht wagen würde, den Bauern zum äußersten zu treiben. Er mußte doch am besten wissen, daß bei dem Schwager nichts zu holen war. Klagte er, so kam es zum Zusammenbruch, und Kaschelernst verlor dann seine Hypothek, für die er bisher die Zinsen stets richtig erhalten hatte. Daß der Kretschamwirt daran denken könne, auf Erwerb des Bauerngutes selbst zu spekulieren, nahm Gustav nicht an. Weder Kaschelernst, noch der Sohn, waren Landwirte, und sein schlauer Onkel würde sich wohl hüten, zu dem, was er schon hatte, sich noch die Last eines größeren Besitzes aufzubürden.
Er nahm daher die Kündigung der Kaschelschen Hypothek, die dem alten Bauern so schweres Ärgernis bereitet hatte, gar nicht ernst. Das war wohl nur ein Schreckschuß oder ein schlechter Witz, den sich der schadenfrohe Kretschamwirt zu seinem besonderen Ergötzen gemacht hatte.
Gustav ging hin und wieder in den Kretscham, um die Stimmung dort zu ergründen. Der Onkel behandelte ihn stets mit ausgesuchter Zuvorkommenheit. Er lächelte und zwinkerte, sobald er des Neffen ansichtig wurde, in seiner närrischen Weise. Aber aus ihm herauszubekommen war nichts. Sowie Gustav ernsthaft von Geschäften zu sprechen anfing, begann er zu lachen, daß ihm manchmal die wirklichen Thränen aus den Augen liefen; so verstand er es, die Sache ins Lächerliche zu ziehen und den Neffen hinzuhalten.
Wenn nicht die stete Sorge um die Vermögenslage seiner Familie gewesen wäre, hätte Gustav in jener Zeit ein glück¬ liches und gemächliches Leben führen können.
Wintersanfang ist eine der ruhigsten Zeiten für den Landmann. Sobald die weiße Decke die Fluren bedeckt, kann er von seinen Werken ausruhen und dem lieben Gott die
Guſtav gab ſich jedoch dieſer Forderung wegen nicht allzu ſchweren Beſorgniſſen hin. Er konnte ſich nicht denken, daß ſein Onkel Ernſt machen würde mit dem Ausklagen. Nicht etwa, daß er Kaſchelernſt eine ſolche Härte gegen den eigenen Schwager nicht zugetraut hätte; er kannte den Kretſchamwirt nur zu gut. Nein, er glaubte, daß der es nicht wagen würde, den Bauern zum äußerſten zu treiben. Er mußte doch am beſten wiſſen, daß bei dem Schwager nichts zu holen war. Klagte er, ſo kam es zum Zuſammenbruch, und Kaſchelernſt verlor dann ſeine Hypothek, für die er bisher die Zinſen ſtets richtig erhalten hatte. Daß der Kretſchamwirt daran denken könne, auf Erwerb des Bauerngutes ſelbſt zu ſpekulieren, nahm Guſtav nicht an. Weder Kaſchelernſt, noch der Sohn, waren Landwirte, und ſein ſchlauer Onkel würde ſich wohl hüten, zu dem, was er ſchon hatte, ſich noch die Laſt eines größeren Beſitzes aufzubürden.
Er nahm daher die Kündigung der Kaſchelſchen Hypothek, die dem alten Bauern ſo ſchweres Ärgernis bereitet hatte, gar nicht ernſt. Das war wohl nur ein Schreckſchuß oder ein ſchlechter Witz, den ſich der ſchadenfrohe Kretſchamwirt zu ſeinem beſonderen Ergötzen gemacht hatte.
Guſtav ging hin und wieder in den Kretſcham, um die Stimmung dort zu ergründen. Der Onkel behandelte ihn ſtets mit ausgeſuchter Zuvorkommenheit. Er lächelte und zwinkerte, ſobald er des Neffen anſichtig wurde, in ſeiner närriſchen Weiſe. Aber aus ihm herauszubekommen war nichts. Sowie Guſtav ernſthaft von Geſchäften zu ſprechen anfing, begann er zu lachen, daß ihm manchmal die wirklichen Thränen aus den Augen liefen; ſo verſtand er es, die Sache ins Lächerliche zu ziehen und den Neffen hinzuhalten.
Wenn nicht die ſtete Sorge um die Vermögenslage ſeiner Familie geweſen wäre, hätte Guſtav in jener Zeit ein glück¬ liches und gemächliches Leben führen können.
Wintersanfang iſt eine der ruhigſten Zeiten für den Landmann. Sobald die weiße Decke die Fluren bedeckt, kann er von ſeinen Werken ausruhen und dem lieben Gott die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0163"n="149"/><p>Guſtav gab ſich jedoch dieſer Forderung wegen nicht allzu<lb/>ſchweren Beſorgniſſen hin. Er konnte ſich nicht denken, daß<lb/>ſein Onkel Ernſt machen würde mit dem Ausklagen. Nicht<lb/>
etwa, daß er Kaſchelernſt eine ſolche Härte gegen den eigenen<lb/>
Schwager nicht zugetraut hätte; er kannte den Kretſchamwirt<lb/>
nur zu gut. Nein, er glaubte, daß der es nicht wagen würde,<lb/>
den Bauern zum äußerſten zu treiben. Er mußte doch am<lb/>
beſten wiſſen, daß bei dem Schwager nichts zu holen war.<lb/>
Klagte er, ſo kam es zum Zuſammenbruch, und Kaſchelernſt<lb/>
verlor dann ſeine Hypothek, für die er bisher die Zinſen ſtets<lb/>
richtig erhalten hatte. Daß der Kretſchamwirt daran denken<lb/>
könne, auf Erwerb des Bauerngutes ſelbſt zu ſpekulieren, nahm<lb/>
Guſtav nicht an. Weder Kaſchelernſt, noch der Sohn, waren<lb/>
Landwirte, und ſein ſchlauer Onkel würde ſich wohl hüten, zu<lb/>
dem, was er ſchon hatte, ſich noch die Laſt eines größeren<lb/>
Beſitzes aufzubürden.</p><lb/><p>Er nahm daher die Kündigung der Kaſchelſchen Hypothek,<lb/>
die dem alten Bauern ſo ſchweres Ärgernis bereitet hatte, gar<lb/>
nicht ernſt. Das war wohl nur ein Schreckſchuß oder ein<lb/>ſchlechter Witz, den ſich der ſchadenfrohe Kretſchamwirt zu<lb/>ſeinem beſonderen Ergötzen gemacht hatte.</p><lb/><p>Guſtav ging hin und wieder in den Kretſcham, um die<lb/>
Stimmung dort zu ergründen. Der Onkel behandelte ihn ſtets<lb/>
mit ausgeſuchter Zuvorkommenheit. Er lächelte und zwinkerte,<lb/>ſobald er des Neffen anſichtig wurde, in ſeiner närriſchen<lb/>
Weiſe. Aber aus ihm herauszubekommen war nichts. Sowie<lb/>
Guſtav ernſthaft von Geſchäften zu ſprechen anfing, begann<lb/>
er zu lachen, daß ihm manchmal die wirklichen Thränen aus den<lb/>
Augen liefen; ſo verſtand er es, die Sache ins Lächerliche zu<lb/>
ziehen und den Neffen hinzuhalten.</p><lb/><p>Wenn nicht die ſtete Sorge um die Vermögenslage ſeiner<lb/>
Familie geweſen wäre, hätte Guſtav in jener Zeit ein glück¬<lb/>
liches und gemächliches Leben führen können.</p><lb/><p>Wintersanfang iſt eine der ruhigſten Zeiten für den<lb/>
Landmann. Sobald die weiße Decke die Fluren bedeckt, kann<lb/>
er von ſeinen Werken ausruhen und dem lieben Gott die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[149/0163]
Guſtav gab ſich jedoch dieſer Forderung wegen nicht allzu
ſchweren Beſorgniſſen hin. Er konnte ſich nicht denken, daß
ſein Onkel Ernſt machen würde mit dem Ausklagen. Nicht
etwa, daß er Kaſchelernſt eine ſolche Härte gegen den eigenen
Schwager nicht zugetraut hätte; er kannte den Kretſchamwirt
nur zu gut. Nein, er glaubte, daß der es nicht wagen würde,
den Bauern zum äußerſten zu treiben. Er mußte doch am
beſten wiſſen, daß bei dem Schwager nichts zu holen war.
Klagte er, ſo kam es zum Zuſammenbruch, und Kaſchelernſt
verlor dann ſeine Hypothek, für die er bisher die Zinſen ſtets
richtig erhalten hatte. Daß der Kretſchamwirt daran denken
könne, auf Erwerb des Bauerngutes ſelbſt zu ſpekulieren, nahm
Guſtav nicht an. Weder Kaſchelernſt, noch der Sohn, waren
Landwirte, und ſein ſchlauer Onkel würde ſich wohl hüten, zu
dem, was er ſchon hatte, ſich noch die Laſt eines größeren
Beſitzes aufzubürden.
Er nahm daher die Kündigung der Kaſchelſchen Hypothek,
die dem alten Bauern ſo ſchweres Ärgernis bereitet hatte, gar
nicht ernſt. Das war wohl nur ein Schreckſchuß oder ein
ſchlechter Witz, den ſich der ſchadenfrohe Kretſchamwirt zu
ſeinem beſonderen Ergötzen gemacht hatte.
Guſtav ging hin und wieder in den Kretſcham, um die
Stimmung dort zu ergründen. Der Onkel behandelte ihn ſtets
mit ausgeſuchter Zuvorkommenheit. Er lächelte und zwinkerte,
ſobald er des Neffen anſichtig wurde, in ſeiner närriſchen
Weiſe. Aber aus ihm herauszubekommen war nichts. Sowie
Guſtav ernſthaft von Geſchäften zu ſprechen anfing, begann
er zu lachen, daß ihm manchmal die wirklichen Thränen aus den
Augen liefen; ſo verſtand er es, die Sache ins Lächerliche zu
ziehen und den Neffen hinzuhalten.
Wenn nicht die ſtete Sorge um die Vermögenslage ſeiner
Familie geweſen wäre, hätte Guſtav in jener Zeit ein glück¬
liches und gemächliches Leben führen können.
Wintersanfang iſt eine der ruhigſten Zeiten für den
Landmann. Sobald die weiße Decke die Fluren bedeckt, kann
er von ſeinen Werken ausruhen und dem lieben Gott die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/163>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.