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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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wollte von diesen großen Herren auch keiner mehr zum Essen
niedersitzen.

Da es keine Berge hier zu Lande gab, die Bäume in
der Landschaft selten und die Kirchtürme klein und unan¬
sehnlich waren, so hätte es eigentlich nichts in die Augen
Fallendes gegeben, wären nicht die Essen gewesen, die sich
allerorten neugierig und gleichsam waghalsig emporreckten.
Hier eine von einer Zuckerfabrik, dort von einer Ziegelei oder
Brennerei.

Auch auf dem Vorwerke Habeldamm gab es solch eine
Esse, die zur Brennerei gehörte. Der Wirtschaftshof wurde
von lauter neuen einstöckigen Gebäuden gebildet. Wie auf dem
Präsentierbrett lag das ganze da, mit seinen blitzblanken ge¬
kalkten Wänden, hellroten Ziegeldächern, mitten in den grünen
Rübenfeldern, die sich bis dicht an die Gebäude zogen. Eine
Feldbahn verband das Vorwerk mit dem Hauptgute Welz¬
leben. Eine größere Bahn ging in weiter Kurve über andere
Rübengüter nach der Zuckerfabrik. Diese Fabrik war ein
Aktienunternehmen der umliegenden Grundbesitzer.

Etwas abseits vom eigentlichen Wirtschaftshofe lag die
Wohnung der Wanderarbeiter, die "Kaserne", wie sie kurzweg
bezeichnet wurde. Es war ein mäßig großes, einstöckiges Haus,
"genau nach der polizeilichen Vorschrift erbaut", wie der In¬
spektor nicht zu bemerken verfehlte, als er Gustav mit seinen
Leuten einwies. Zu ebener Erde befanden sich zwei saal¬
artige Räume, der größere für die Mädchen zum Wohnen
und Speisen, der andere für die Männer bestimmt, ferner eine
Küche mit neumodischem Herd und eine Wasch- und Spül¬
einrichtung. Im ersten Stock waren die Schlafräume unter¬
gebracht, die Mädchenkammer getrennt von der der Männer,
durch die Wohnung des "Aufsehers", wie Gustav jetzt tituliert
wurde.

Der Inspektor, ein jüngerer Herr, dessen Schnurrbart
und schneidiger Ton keinen Zweifel darüber aufkommen ließ,
daß er Reserveoffizier sei, führte Gustav in sämtlichen Räumen
umher, übergab ihm den Hauptschlüssel, und machte den Auf¬

wollte von dieſen großen Herren auch keiner mehr zum Eſſen
niederſitzen.

Da es keine Berge hier zu Lande gab, die Bäume in
der Landſchaft ſelten und die Kirchtürme klein und unan¬
ſehnlich waren, ſo hätte es eigentlich nichts in die Augen
Fallendes gegeben, wären nicht die Eſſen geweſen, die ſich
allerorten neugierig und gleichſam waghalſig emporreckten.
Hier eine von einer Zuckerfabrik, dort von einer Ziegelei oder
Brennerei.

Auch auf dem Vorwerke Habeldamm gab es ſolch eine
Eſſe, die zur Brennerei gehörte. Der Wirtſchaftshof wurde
von lauter neuen einſtöckigen Gebäuden gebildet. Wie auf dem
Präſentierbrett lag das ganze da, mit ſeinen blitzblanken ge¬
kalkten Wänden, hellroten Ziegeldächern, mitten in den grünen
Rübenfeldern, die ſich bis dicht an die Gebäude zogen. Eine
Feldbahn verband das Vorwerk mit dem Hauptgute Welz¬
leben. Eine größere Bahn ging in weiter Kurve über andere
Rübengüter nach der Zuckerfabrik. Dieſe Fabrik war ein
Aktienunternehmen der umliegenden Grundbeſitzer.

Etwas abſeits vom eigentlichen Wirtſchaftshofe lag die
Wohnung der Wanderarbeiter, die „Kaſerne“, wie ſie kurzweg
bezeichnet wurde. Es war ein mäßig großes, einſtöckiges Haus,
„genau nach der polizeilichen Vorſchrift erbaut“, wie der In¬
ſpektor nicht zu bemerken verfehlte, als er Guſtav mit ſeinen
Leuten einwies. Zu ebener Erde befanden ſich zwei ſaal¬
artige Räume, der größere für die Mädchen zum Wohnen
und Speiſen, der andere für die Männer beſtimmt, ferner eine
Küche mit neumodiſchem Herd und eine Waſch- und Spül¬
einrichtung. Im erſten Stock waren die Schlafräume unter¬
gebracht, die Mädchenkammer getrennt von der der Männer,
durch die Wohnung des „Aufſehers“, wie Guſtav jetzt tituliert
wurde.

Der Inſpektor, ein jüngerer Herr, deſſen Schnurrbart
und ſchneidiger Ton keinen Zweifel darüber aufkommen ließ,
daß er Reſerveoffizier ſei, führte Guſtav in ſämtlichen Räumen
umher, übergab ihm den Hauptſchlüſſel, und machte den Auf¬

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[285/0299] wollte von dieſen großen Herren auch keiner mehr zum Eſſen niederſitzen. Da es keine Berge hier zu Lande gab, die Bäume in der Landſchaft ſelten und die Kirchtürme klein und unan¬ ſehnlich waren, ſo hätte es eigentlich nichts in die Augen Fallendes gegeben, wären nicht die Eſſen geweſen, die ſich allerorten neugierig und gleichſam waghalſig emporreckten. Hier eine von einer Zuckerfabrik, dort von einer Ziegelei oder Brennerei. Auch auf dem Vorwerke Habeldamm gab es ſolch eine Eſſe, die zur Brennerei gehörte. Der Wirtſchaftshof wurde von lauter neuen einſtöckigen Gebäuden gebildet. Wie auf dem Präſentierbrett lag das ganze da, mit ſeinen blitzblanken ge¬ kalkten Wänden, hellroten Ziegeldächern, mitten in den grünen Rübenfeldern, die ſich bis dicht an die Gebäude zogen. Eine Feldbahn verband das Vorwerk mit dem Hauptgute Welz¬ leben. Eine größere Bahn ging in weiter Kurve über andere Rübengüter nach der Zuckerfabrik. Dieſe Fabrik war ein Aktienunternehmen der umliegenden Grundbeſitzer. Etwas abſeits vom eigentlichen Wirtſchaftshofe lag die Wohnung der Wanderarbeiter, die „Kaſerne“, wie ſie kurzweg bezeichnet wurde. Es war ein mäßig großes, einſtöckiges Haus, „genau nach der polizeilichen Vorſchrift erbaut“, wie der In¬ ſpektor nicht zu bemerken verfehlte, als er Guſtav mit ſeinen Leuten einwies. Zu ebener Erde befanden ſich zwei ſaal¬ artige Räume, der größere für die Mädchen zum Wohnen und Speiſen, der andere für die Männer beſtimmt, ferner eine Küche mit neumodiſchem Herd und eine Waſch- und Spül¬ einrichtung. Im erſten Stock waren die Schlafräume unter¬ gebracht, die Mädchenkammer getrennt von der der Männer, durch die Wohnung des „Aufſehers“, wie Guſtav jetzt tituliert wurde. Der Inſpektor, ein jüngerer Herr, deſſen Schnurrbart und ſchneidiger Ton keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, daß er Reſerveoffizier ſei, führte Guſtav in ſämtlichen Räumen umher, übergab ihm den Hauptſchlüſſel, und machte den Auf¬

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/299>, abgerufen am 22.11.2024.