Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Karl erwachte erst im Laufe des Vormittags von seinem
schweren Rausche. Noch länger als gewöhnlich brauchte er
heute zum Überlegen. Wo war er gestern gewesen? was war
ihm zugestoßen? wie war er nach Haus gekommen? -- Er sann
und sann. Die letzte feststehende Thatsache, die aus dem
Nebel auftauchte, war die Jagd. Nach und nach kamen ihm
einzelne Momente ins Gedächtnis zurück: das Frühstück, als
ein besonderer Lichtpunkt, der Major, und damit das Geld¬
geschenk.

Hatte er das alles etwa geträumt? -- Aber er glaubte sich
noch ganz genau der einzelnen Geldstücke zu entsinnen; er
hatte sie ja in seiner Hand gefühlt. Es fiel ihm auch ein,
daß er sie in seinen Tabaksbeutel gethan und in die Tasche
gesteckt habe.

Er griff nach seinen Hosen, sie lagen mit seinen übrigen
Sachen am Bette. Der Beutel war da, auch ein Rest von
Tabak darin, aber das Geld fehlte!

Therese war inzwischen in Haus und Stall thätig ge¬
wesen. Sie that die Arbeit für zweie. Erst hatte sie Karls
Kleider gereinigt, die Kinder versorgt, und schließlich das Vieh
gefüttert.

Sie besaßen zwei Ziegen, außerdem standen ein paar
Kühe im Stalle. Harrassowitz hatte sie eingestellt, damit sie
für den Fleischer fett gemacht werden sollten. Wahrscheinlich
hatte Sam die Tiere zum Pfande für eine Schuld angenommen;
nun ließ er sie hier mästen.

Nachdem Therese noch eine Karre mit Krautblättern für
das Vieh hereingebracht, wollte sie daran gehen, das Mittag¬
brot anzusetzen. Als sie in das große Zimmer trat, hörte sie
nebenan in der Kammer schluchzen. Sie riß die Thür auf;
da saß Karl auf seinem Bette, halbangezogen und heulte.

Therese stemmte die Hände auf die Hüften und wollte
eben anfangen, loszuwettern. War der Mensch denn verrückt
geworden? Da saß er und plärrte wie ein kleiner Junge! --

Auf einmal aber mußte sie lachen. Er sah zu dumm aus
mit seinem roten Kopfe, dem offenen Hemde, aus dem die

Karl erwachte erſt im Laufe des Vormittags von ſeinem
ſchweren Rauſche. Noch länger als gewöhnlich brauchte er
heute zum Überlegen. Wo war er geſtern geweſen? was war
ihm zugeſtoßen? wie war er nach Haus gekommen? — Er ſann
und ſann. Die letzte feſtſtehende Thatſache, die aus dem
Nebel auftauchte, war die Jagd. Nach und nach kamen ihm
einzelne Momente ins Gedächtnis zurück: das Frühſtück, als
ein beſonderer Lichtpunkt, der Major, und damit das Geld¬
geſchenk.

Hatte er das alles etwa geträumt? — Aber er glaubte ſich
noch ganz genau der einzelnen Geldſtücke zu entſinnen; er
hatte ſie ja in ſeiner Hand gefühlt. Es fiel ihm auch ein,
daß er ſie in ſeinen Tabaksbeutel gethan und in die Taſche
geſteckt habe.

Er griff nach ſeinen Hoſen, ſie lagen mit ſeinen übrigen
Sachen am Bette. Der Beutel war da, auch ein Reſt von
Tabak darin, aber das Geld fehlte!

Thereſe war inzwiſchen in Haus und Stall thätig ge¬
weſen. Sie that die Arbeit für zweie. Erſt hatte ſie Karls
Kleider gereinigt, die Kinder verſorgt, und ſchließlich das Vieh
gefüttert.

Sie beſaßen zwei Ziegen, außerdem ſtanden ein paar
Kühe im Stalle. Harraſſowitz hatte ſie eingeſtellt, damit ſie
für den Fleiſcher fett gemacht werden ſollten. Wahrſcheinlich
hatte Sam die Tiere zum Pfande für eine Schuld angenommen;
nun ließ er ſie hier mäſten.

Nachdem Thereſe noch eine Karre mit Krautblättern für
das Vieh hereingebracht, wollte ſie daran gehen, das Mittag¬
brot anzuſetzen. Als ſie in das große Zimmer trat, hörte ſie
nebenan in der Kammer ſchluchzen. Sie riß die Thür auf;
da ſaß Karl auf ſeinem Bette, halbangezogen und heulte.

Thereſe ſtemmte die Hände auf die Hüften und wollte
eben anfangen, loszuwettern. War der Menſch denn verrückt
geworden? Da ſaß er und plärrte wie ein kleiner Junge! —

Auf einmal aber mußte ſie lachen. Er ſah zu dumm aus
mit ſeinem roten Kopfe, dem offenen Hemde, aus dem die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0361" n="347"/>
          <p>Karl erwachte er&#x017F;t im Laufe des Vormittags von &#x017F;einem<lb/>
&#x017F;chweren Rau&#x017F;che. Noch länger als gewöhnlich brauchte er<lb/>
heute zum Überlegen. Wo war er ge&#x017F;tern gewe&#x017F;en? was war<lb/>
ihm zuge&#x017F;toßen? wie war er nach Haus gekommen? &#x2014; Er &#x017F;ann<lb/>
und &#x017F;ann. Die letzte fe&#x017F;t&#x017F;tehende That&#x017F;ache, die aus dem<lb/>
Nebel auftauchte, war die Jagd. Nach und nach kamen ihm<lb/>
einzelne Momente ins Gedächtnis zurück: das Früh&#x017F;tück, als<lb/>
ein be&#x017F;onderer Lichtpunkt, der Major, und damit das Geld¬<lb/>
ge&#x017F;chenk.</p><lb/>
          <p>Hatte er das alles etwa geträumt? &#x2014; Aber er glaubte &#x017F;ich<lb/>
noch ganz genau der einzelnen Geld&#x017F;tücke zu ent&#x017F;innen; er<lb/>
hatte &#x017F;ie ja in &#x017F;einer Hand gefühlt. Es fiel ihm auch ein,<lb/>
daß er &#x017F;ie in &#x017F;einen Tabaksbeutel gethan und in die Ta&#x017F;che<lb/>
ge&#x017F;teckt habe.</p><lb/>
          <p>Er griff nach &#x017F;einen Ho&#x017F;en, &#x017F;ie lagen mit &#x017F;einen übrigen<lb/>
Sachen am Bette. Der Beutel war da, auch ein Re&#x017F;t von<lb/>
Tabak darin, aber das Geld fehlte!</p><lb/>
          <p>There&#x017F;e war inzwi&#x017F;chen in Haus und Stall thätig ge¬<lb/>
we&#x017F;en. Sie that die Arbeit für zweie. Er&#x017F;t hatte &#x017F;ie Karls<lb/>
Kleider gereinigt, die Kinder ver&#x017F;orgt, und &#x017F;chließlich das Vieh<lb/>
gefüttert.</p><lb/>
          <p>Sie be&#x017F;aßen zwei Ziegen, außerdem &#x017F;tanden ein paar<lb/>
Kühe im Stalle. Harra&#x017F;&#x017F;owitz hatte &#x017F;ie einge&#x017F;tellt, damit &#x017F;ie<lb/>
für den Flei&#x017F;cher fett gemacht werden &#x017F;ollten. Wahr&#x017F;cheinlich<lb/>
hatte Sam die Tiere zum Pfande für eine Schuld angenommen;<lb/>
nun ließ er &#x017F;ie hier mä&#x017F;ten.</p><lb/>
          <p>Nachdem There&#x017F;e noch eine Karre mit Krautblättern für<lb/>
das Vieh hereingebracht, wollte &#x017F;ie daran gehen, das Mittag¬<lb/>
brot anzu&#x017F;etzen. Als &#x017F;ie in das große Zimmer trat, hörte &#x017F;ie<lb/>
nebenan in der Kammer &#x017F;chluchzen. Sie riß die Thür auf;<lb/>
da &#x017F;aß Karl auf &#x017F;einem Bette, halbangezogen und heulte.</p><lb/>
          <p>There&#x017F;e &#x017F;temmte die Hände auf die Hüften und wollte<lb/>
eben anfangen, loszuwettern. War der Men&#x017F;ch denn verrückt<lb/>
geworden? Da &#x017F;aß er und plärrte wie ein kleiner Junge! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Auf einmal aber mußte &#x017F;ie lachen. Er &#x017F;ah zu dumm aus<lb/>
mit &#x017F;einem roten Kopfe, dem offenen Hemde, aus dem die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0361] Karl erwachte erſt im Laufe des Vormittags von ſeinem ſchweren Rauſche. Noch länger als gewöhnlich brauchte er heute zum Überlegen. Wo war er geſtern geweſen? was war ihm zugeſtoßen? wie war er nach Haus gekommen? — Er ſann und ſann. Die letzte feſtſtehende Thatſache, die aus dem Nebel auftauchte, war die Jagd. Nach und nach kamen ihm einzelne Momente ins Gedächtnis zurück: das Frühſtück, als ein beſonderer Lichtpunkt, der Major, und damit das Geld¬ geſchenk. Hatte er das alles etwa geträumt? — Aber er glaubte ſich noch ganz genau der einzelnen Geldſtücke zu entſinnen; er hatte ſie ja in ſeiner Hand gefühlt. Es fiel ihm auch ein, daß er ſie in ſeinen Tabaksbeutel gethan und in die Taſche geſteckt habe. Er griff nach ſeinen Hoſen, ſie lagen mit ſeinen übrigen Sachen am Bette. Der Beutel war da, auch ein Reſt von Tabak darin, aber das Geld fehlte! Thereſe war inzwiſchen in Haus und Stall thätig ge¬ weſen. Sie that die Arbeit für zweie. Erſt hatte ſie Karls Kleider gereinigt, die Kinder verſorgt, und ſchließlich das Vieh gefüttert. Sie beſaßen zwei Ziegen, außerdem ſtanden ein paar Kühe im Stalle. Harraſſowitz hatte ſie eingeſtellt, damit ſie für den Fleiſcher fett gemacht werden ſollten. Wahrſcheinlich hatte Sam die Tiere zum Pfande für eine Schuld angenommen; nun ließ er ſie hier mäſten. Nachdem Thereſe noch eine Karre mit Krautblättern für das Vieh hereingebracht, wollte ſie daran gehen, das Mittag¬ brot anzuſetzen. Als ſie in das große Zimmer trat, hörte ſie nebenan in der Kammer ſchluchzen. Sie riß die Thür auf; da ſaß Karl auf ſeinem Bette, halbangezogen und heulte. Thereſe ſtemmte die Hände auf die Hüften und wollte eben anfangen, loszuwettern. War der Menſch denn verrückt geworden? Da ſaß er und plärrte wie ein kleiner Junge! — Auf einmal aber mußte ſie lachen. Er ſah zu dumm aus mit ſeinem roten Kopfe, dem offenen Hemde, aus dem die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/361
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/361>, abgerufen am 23.11.2024.