nennen hören. In einem Kasten, unter Glas, lagen Partei¬ schriften.
Der Wirt war vertraulicher geworden, sobald er gemerkt, daß er in Häschke einen sicheren Genossen vor sich habe. Gustav hörte mit Staunen der Unterhaltung zu. Noch nie¬ mals hatte er so freie Reden gehört. Die urteilten über Personen, Behörden, Einrichtungen, die er für unantastbar gehalten hatte, mit einer Geringschätzung, daß ihm eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken lief. Er ver¬ stand nicht alles, was sie sagten, denn sie brauchten Aus¬ drücke und Wendungen, die ihm nicht geläufig waren. Noch war ihm alles das neu und unheimlich, und doch zog es ihn an.
Abends ging es in eine Volksversammlung. Gustav hatte noch nie einen so mächtigen Saal gesehen. Der war höchstens zu vergleichen mit der verdeckten Reitbahn in der Kaserne. Der Raum wurde erleuchtet durch einzelne runde Lampen, die in der Höhe schwebend, das ganze mit mildem weißlichen Licht übergossen, so hell, daß man jedes einzelne Gesicht bis in die entfernteste Ecke des riesenhaften Raumes erkennen konnte. Tausende waren da versammelt. Man saß an Tischen, hatte sein Glas Bier vor sich stehen. Viele, die keinen Platz zum Sitzen gefunden hatten, stauten sich unter den Gallerien, die ebenfalls, bis zur dritten Empore, mit Menschen gefüllt waren.
Und am unteren Ende des Saales auf einem erhöhten Platze, wie auf einer freien Bühne, saßen einige Männer, die Einberufer der Versammlung, neben ihnen ein Polizist; die einzige Uniform in der großen schwarzen Menge.
Gustav verstand nichts von den Vorgängen. Häschke er¬ klärte ihm, daß sie "ein Komitee bildeten". -- Es schienen alles Männer aus dem Volke zu sein, ihrer Sprache und Kleidung nach zu urteilen. Auch der Mann, der jetzt sich zum Worte meldete, war ein Arbeiter, ein "Entlassener und Arbeitsloser", wie er selbst sagte. Er sprach wohl eine Stunde lang. Die Tausende lauschten seinen Worten mit atemloser Spannung;
nennen hören. In einem Kaſten, unter Glas, lagen Partei¬ ſchriften.
Der Wirt war vertraulicher geworden, ſobald er gemerkt, daß er in Häſchke einen ſicheren Genoſſen vor ſich habe. Guſtav hörte mit Staunen der Unterhaltung zu. Noch nie¬ mals hatte er ſo freie Reden gehört. Die urteilten über Perſonen, Behörden, Einrichtungen, die er für unantaſtbar gehalten hatte, mit einer Geringſchätzung, daß ihm eine Gänſehaut nach der anderen über den Rücken lief. Er ver¬ ſtand nicht alles, was ſie ſagten, denn ſie brauchten Aus¬ drücke und Wendungen, die ihm nicht geläufig waren. Noch war ihm alles das neu und unheimlich, und doch zog es ihn an.
Abends ging es in eine Volksverſammlung. Guſtav hatte noch nie einen ſo mächtigen Saal geſehen. Der war höchſtens zu vergleichen mit der verdeckten Reitbahn in der Kaſerne. Der Raum wurde erleuchtet durch einzelne runde Lampen, die in der Höhe ſchwebend, das ganze mit mildem weißlichen Licht übergoſſen, ſo hell, daß man jedes einzelne Geſicht bis in die entfernteſte Ecke des rieſenhaften Raumes erkennen konnte. Tauſende waren da verſammelt. Man ſaß an Tiſchen, hatte ſein Glas Bier vor ſich ſtehen. Viele, die keinen Platz zum Sitzen gefunden hatten, ſtauten ſich unter den Gallerien, die ebenfalls, bis zur dritten Empore, mit Menſchen gefüllt waren.
Und am unteren Ende des Saales auf einem erhöhten Platze, wie auf einer freien Bühne, ſaßen einige Männer, die Einberufer der Verſammlung, neben ihnen ein Poliziſt; die einzige Uniform in der großen ſchwarzen Menge.
Guſtav verſtand nichts von den Vorgängen. Häſchke er¬ klärte ihm, daß ſie „ein Komitee bildeten“. — Es ſchienen alles Männer aus dem Volke zu ſein, ihrer Sprache und Kleidung nach zu urteilen. Auch der Mann, der jetzt ſich zum Worte meldete, war ein Arbeiter, ein „Entlaſſener und Arbeitsloſer“, wie er ſelbſt ſagte. Er ſprach wohl eine Stunde lang. Die Tauſende lauſchten ſeinen Worten mit atemloſer Spannung;
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nennen hören. In einem Kaſten, unter Glas, lagen Partei¬
ſchriften.
Der Wirt war vertraulicher geworden, ſobald er gemerkt,
daß er in Häſchke einen ſicheren Genoſſen vor ſich habe.
Guſtav hörte mit Staunen der Unterhaltung zu. Noch nie¬
mals hatte er ſo freie Reden gehört. Die urteilten über
Perſonen, Behörden, Einrichtungen, die er für unantaſtbar
gehalten hatte, mit einer Geringſchätzung, daß ihm eine
Gänſehaut nach der anderen über den Rücken lief. Er ver¬
ſtand nicht alles, was ſie ſagten, denn ſie brauchten Aus¬
drücke und Wendungen, die ihm nicht geläufig waren. Noch
war ihm alles das neu und unheimlich, und doch zog es
ihn an.
Abends ging es in eine Volksverſammlung. Guſtav
hatte noch nie einen ſo mächtigen Saal geſehen. Der war
höchſtens zu vergleichen mit der verdeckten Reitbahn in der
Kaſerne. Der Raum wurde erleuchtet durch einzelne runde
Lampen, die in der Höhe ſchwebend, das ganze mit mildem
weißlichen Licht übergoſſen, ſo hell, daß man jedes einzelne
Geſicht bis in die entfernteſte Ecke des rieſenhaften Raumes
erkennen konnte. Tauſende waren da verſammelt. Man ſaß
an Tiſchen, hatte ſein Glas Bier vor ſich ſtehen. Viele, die
keinen Platz zum Sitzen gefunden hatten, ſtauten ſich unter
den Gallerien, die ebenfalls, bis zur dritten Empore, mit
Menſchen gefüllt waren.
Und am unteren Ende des Saales auf einem erhöhten
Platze, wie auf einer freien Bühne, ſaßen einige Männer,
die Einberufer der Verſammlung, neben ihnen ein Poliziſt; die
einzige Uniform in der großen ſchwarzen Menge.
Guſtav verſtand nichts von den Vorgängen. Häſchke er¬
klärte ihm, daß ſie „ein Komitee bildeten“. — Es ſchienen alles
Männer aus dem Volke zu ſein, ihrer Sprache und Kleidung
nach zu urteilen. Auch der Mann, der jetzt ſich zum Worte
meldete, war ein Arbeiter, ein „Entlaſſener und Arbeitsloſer“,
wie er ſelbſt ſagte. Er ſprach wohl eine Stunde lang. Die
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/381>, abgerufen am 24.11.2024.
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