Vor dem Kretscham in Halbenau hielt ein Einspänner. Die Kleidung des Kutschers ließ darauf schließen, daß das Fuhrwerk aus der Stadt komme. Ein rotbärtiger Mann im grauen Überzieher und karrierten Hosen stieg aus und befahl auszuspannen. Dann begab sich der Fremde in den Gasthof.
In der Schenkstube befand sich nur Ottilie, die Tochter des Gastwirts. Harrassowitz betrachtete das Mädchen mit jenem spürenden Blicke, den er für alle Frauen hatte, mochten sie hübsch sein, oder häßlich. "Ist der Herr Papa zu Haus?" fragte er. "Denn Sie sind doch das Fräulein Tochter. Ich bin Samuel Harrassowitz aus der Stadt, Ihr Herr Vater kennt mich."
Ottilie zog einen schiefen Mund, was sie immer that, wenn sie verlegen war, und meinte, sie werde nach dem Vater schicken. Sie begab sich in's nebenan gelegene Schnapsgewölbe, wo ihr Bruder Richard mit Umfüllen von Likören beschäftigt war, und sagte ihm, wer da sei. "Ach Sam!" meinte Richard. "Wer ist denn das?" fragte Ottilie neugierig. "Sam is Sam!" erklärte Richard. "Geh, sag mir's doch!" "Thun doch selber fragen, dumme Gans!" meinte der liebenswürdige Bruder, streckte dem Mädchen die Zunge heraus und ging, den Vater zu rufen.
Ottilie kehrte in's Gastzimmer zurück. Sie war nun doppelt neugierig geworden, wer der fremde Herr sei. Das
VII.
Vor dem Kretſcham in Halbenau hielt ein Einſpänner. Die Kleidung des Kutſchers ließ darauf ſchließen, daß das Fuhrwerk aus der Stadt komme. Ein rotbärtiger Mann im grauen Überzieher und karrierten Hoſen ſtieg aus und befahl auszuſpannen. Dann begab ſich der Fremde in den Gaſthof.
In der Schenkſtube befand ſich nur Ottilie, die Tochter des Gaſtwirts. Harraſſowitz betrachtete das Mädchen mit jenem ſpürenden Blicke, den er für alle Frauen hatte, mochten ſie hübſch ſein, oder häßlich. „Iſt der Herr Papa zu Haus?“ fragte er. „Denn Sie ſind doch das Fräulein Tochter. Ich bin Samuel Harraſſowitz aus der Stadt, Ihr Herr Vater kennt mich.“
Ottilie zog einen ſchiefen Mund, was ſie immer that, wenn ſie verlegen war, und meinte, ſie werde nach dem Vater ſchicken. Sie begab ſich in's nebenan gelegene Schnapsgewölbe, wo ihr Bruder Richard mit Umfüllen von Likören beſchäftigt war, und ſagte ihm, wer da ſei. „Ach Sam!“ meinte Richard. „Wer iſt denn das?“ fragte Ottilie neugierig. „Sam is Sam!“ erklärte Richard. „Geh, ſag mir's doch!“ „Thun doch ſelber fragen, dumme Gans!“ meinte der liebenswürdige Bruder, ſtreckte dem Mädchen die Zunge heraus und ging, den Vater zu rufen.
Ottilie kehrte in's Gaſtzimmer zurück. Sie war nun doppelt neugierig geworden, wer der fremde Herr ſei. Das
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VII.
Vor dem Kretſcham in Halbenau hielt ein Einſpänner.
Die Kleidung des Kutſchers ließ darauf ſchließen, daß das
Fuhrwerk aus der Stadt komme. Ein rotbärtiger Mann im
grauen Überzieher und karrierten Hoſen ſtieg aus und befahl
auszuſpannen. Dann begab ſich der Fremde in den Gaſthof.
In der Schenkſtube befand ſich nur Ottilie, die Tochter
des Gaſtwirts. Harraſſowitz betrachtete das Mädchen mit jenem
ſpürenden Blicke, den er für alle Frauen hatte, mochten ſie
hübſch ſein, oder häßlich. „Iſt der Herr Papa zu Haus?“
fragte er. „Denn Sie ſind doch das Fräulein Tochter. Ich
bin Samuel Harraſſowitz aus der Stadt, Ihr Herr Vater
kennt mich.“
Ottilie zog einen ſchiefen Mund, was ſie immer that,
wenn ſie verlegen war, und meinte, ſie werde nach dem Vater
ſchicken. Sie begab ſich in's nebenan gelegene Schnapsgewölbe,
wo ihr Bruder Richard mit Umfüllen von Likören beſchäftigt
war, und ſagte ihm, wer da ſei. „Ach Sam!“ meinte Richard.
„Wer iſt denn das?“ fragte Ottilie neugierig. „Sam is
Sam!“ erklärte Richard. „Geh, ſag mir's doch!“ „Thun
doch ſelber fragen, dumme Gans!“ meinte der liebenswürdige
Bruder, ſtreckte dem Mädchen die Zunge heraus und ging,
den Vater zu rufen.
Ottilie kehrte in's Gaſtzimmer zurück. Sie war nun
doppelt neugierig geworden, wer der fremde Herr ſei. Das
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. [82]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/96>, abgerufen am 24.11.2024.
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