Mädchen hatte nicht viel Besseres vor auf der Welt, als sich um anderer Angelegenheiten zu kümmern. Sie war meist unbe¬ schäftigt, und hatte Zeit, allerhand Gedanken nachzuhängen, von denen die meisten thöricht waren.
Ottilie war groß und mager, mit unverhältnismäßig langem Oberkörper, flacher Brust und herausstehenden Hüftknochen. Weibliche Fülle und Rundung war ihr versagt. Aber aus ihrer Art, verlegen zu lächeln, den Kopf beiseite zu legen, und dabei vielsagend dreinzublicken, sprach Gefallsucht, die ihrem reizlosen Körper zum Trotze, die Blicke auf sich zu lenken trachtete. Sie hatte wenig vom Büttnerschen Blute in sich. Mit ihrer unreinen Hautfarbe, der birnenförmigen Kopfform und dem fliehenden Kinn war sie eine echte Kaschel.
Ottilie machte sich hinter dem Schenktisch zu schaffen. Vielleicht würde der Fremde sie doch noch einmal anreden.
Harrassowitz that ihr auch wirklich den Gefallen. "Fräu¬ lein, wollen Sie sich nicht ein bißchen zu mir setzen; ich bin hier so alleine."
Linkisch, mit ihrem scheuen Lächeln, kam Ottilie hinter dem Schenktische vor. "Ich bin so frei!" Damit setzte sie sich an den Tisch.
Sam ließ seine Blicke in unverfrorener Weise auf ihrer Gestalt herumkreuzen, während sie mit scheinbar niederge¬ schlagenen Augen, ihn dabei von der Seite anschielend, dasaß. "Darf ich mir wohl die Frage erlauben," sagte er, ihr ver¬ traulich zulächelnd: "Ihre Hand ist noch nicht vergeben?"
"Aber ich bitte sehr, mein Herr!" rief sie, von ihm wegrückend, mit einer Miene, der man deutlich absehen konnte, daß ihr die Frage im Grunde gar nicht unange¬ nehm war.
"Das ist mir eigentlich erstaunlich!" meinte er. "Ein solches Fräulein: ledig! Die Tochter von Herrn Ernst Kaschel! Da wüßte ich manchen jungen Herrn . . ."
Zu Ottiliens großem Leidwesen trat hier der Vater ein, und die Unterhaltung wurde an der interessantesten Stelle unterbrochen.
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Mädchen hatte nicht viel Beſſeres vor auf der Welt, als ſich um anderer Angelegenheiten zu kümmern. Sie war meiſt unbe¬ ſchäftigt, und hatte Zeit, allerhand Gedanken nachzuhängen, von denen die meiſten thöricht waren.
Ottilie war groß und mager, mit unverhältnismäßig langem Oberkörper, flacher Bruſt und herausſtehenden Hüftknochen. Weibliche Fülle und Rundung war ihr verſagt. Aber aus ihrer Art, verlegen zu lächeln, den Kopf beiſeite zu legen, und dabei vielſagend dreinzublicken, ſprach Gefallſucht, die ihrem reizloſen Körper zum Trotze, die Blicke auf ſich zu lenken trachtete. Sie hatte wenig vom Büttnerſchen Blute in ſich. Mit ihrer unreinen Hautfarbe, der birnenförmigen Kopfform und dem fliehenden Kinn war ſie eine echte Kaſchel.
Ottilie machte ſich hinter dem Schenktiſch zu ſchaffen. Vielleicht würde der Fremde ſie doch noch einmal anreden.
Harraſſowitz that ihr auch wirklich den Gefallen. „Fräu¬ lein, wollen Sie ſich nicht ein bißchen zu mir ſetzen; ich bin hier ſo alleine.“
Linkiſch, mit ihrem ſcheuen Lächeln, kam Ottilie hinter dem Schenktiſche vor. „Ich bin ſo frei!“ Damit ſetzte ſie ſich an den Tiſch.
Sam ließ ſeine Blicke in unverfrorener Weiſe auf ihrer Geſtalt herumkreuzen, während ſie mit ſcheinbar niederge¬ ſchlagenen Augen, ihn dabei von der Seite anſchielend, daſaß. „Darf ich mir wohl die Frage erlauben,“ ſagte er, ihr ver¬ traulich zulächelnd: „Ihre Hand iſt noch nicht vergeben?“
„Aber ich bitte ſehr, mein Herr!“ rief ſie, von ihm wegrückend, mit einer Miene, der man deutlich abſehen konnte, daß ihr die Frage im Grunde gar nicht unange¬ nehm war.
„Das iſt mir eigentlich erſtaunlich!“ meinte er. „Ein ſolches Fräulein: ledig! Die Tochter von Herrn Ernſt Kaſchel! Da wüßte ich manchen jungen Herrn . . .“
Zu Ottiliens großem Leidweſen trat hier der Vater ein, und die Unterhaltung wurde an der intereſſanteſten Stelle unterbrochen.
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Mädchen hatte nicht viel Beſſeres vor auf der Welt, als ſich
um anderer Angelegenheiten zu kümmern. Sie war meiſt unbe¬
ſchäftigt, und hatte Zeit, allerhand Gedanken nachzuhängen,
von denen die meiſten thöricht waren.
Ottilie war groß und mager, mit unverhältnismäßig langem
Oberkörper, flacher Bruſt und herausſtehenden Hüftknochen.
Weibliche Fülle und Rundung war ihr verſagt. Aber aus ihrer
Art, verlegen zu lächeln, den Kopf beiſeite zu legen, und dabei
vielſagend dreinzublicken, ſprach Gefallſucht, die ihrem reizloſen
Körper zum Trotze, die Blicke auf ſich zu lenken trachtete.
Sie hatte wenig vom Büttnerſchen Blute in ſich. Mit ihrer
unreinen Hautfarbe, der birnenförmigen Kopfform und dem
fliehenden Kinn war ſie eine echte Kaſchel.
Ottilie machte ſich hinter dem Schenktiſch zu ſchaffen.
Vielleicht würde der Fremde ſie doch noch einmal anreden.
Harraſſowitz that ihr auch wirklich den Gefallen. „Fräu¬
lein, wollen Sie ſich nicht ein bißchen zu mir ſetzen; ich bin
hier ſo alleine.“
Linkiſch, mit ihrem ſcheuen Lächeln, kam Ottilie hinter
dem Schenktiſche vor. „Ich bin ſo frei!“ Damit ſetzte ſie ſich
an den Tiſch.
Sam ließ ſeine Blicke in unverfrorener Weiſe auf ihrer
Geſtalt herumkreuzen, während ſie mit ſcheinbar niederge¬
ſchlagenen Augen, ihn dabei von der Seite anſchielend, daſaß.
„Darf ich mir wohl die Frage erlauben,“ ſagte er, ihr ver¬
traulich zulächelnd: „Ihre Hand iſt noch nicht vergeben?“
„Aber ich bitte ſehr, mein Herr!“ rief ſie, von ihm
wegrückend, mit einer Miene, der man deutlich abſehen
konnte, daß ihr die Frage im Grunde gar nicht unange¬
nehm war.
„Das iſt mir eigentlich erſtaunlich!“ meinte er. „Ein
ſolches Fräulein: ledig! Die Tochter von Herrn Ernſt Kaſchel!
Da wüßte ich manchen jungen Herrn . . .“
Zu Ottiliens großem Leidweſen trat hier der Vater ein,
und die Unterhaltung wurde an der intereſſanteſten Stelle
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/97>, abgerufen am 16.07.2024.
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