es in Europa geschieht, wenn sie sich nicht auf Alles auf einmal legten, wenn bey ihnen die Bücher so wohlfeil, als in Europa wären, und wenn endlich die Lehrer mit solcher Gewissen- haftigkeit ihren Unterricht jedem ertheilten, den sie nur ihren vertrautesten Freunden zu geben pflegen. -- In Ansehung ihrer großen Ein- sichten sind sie eben so prahlerisch, als alle an- dere Völker. Sie sind sehr jalou und wollen nicht, daß die Europäer alle ihre Künste wis- sen, damit jene ihnen die Künste nicht ablernen sollen, und sie immer einen Vorzug vor den Euro- päern haben möchten.
Ein jeder Liebhaber der Wissenschaften ler- net hauptsächlich dreyerley Sprachen. Erst- lich die persische, als die Hauptsprache des ganzen Reichs. Zweytens die türkische, drit- tens die arabische. Diese drey Sprachen kennt man nur unter ihnen. Ein jeder, der etwas vorstellen will, muß derselben kundig seyn. Selbst das Frauenzimmer muß wenig- stens die beyden ersten verstehen, dafern sie für eine Person von Lebensart will gehalten seyn. -- Der persischen Sprache bedient man sich in der Dichtkunst, und in den Werken des Verstandes. Das Türkische redet man bey der Armee, am Hofe und im Serrail der Großen. Das Arabische ist für die Religion und alle abstracten Wissenschaften. Die Perser chara- cterisiren diese drey Sprachen so: sie sagen nämlich, die persische Sprache sey geschickt, die
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es in Europa geſchieht, wenn ſie ſich nicht auf Alles auf einmal legten, wenn bey ihnen die Buͤcher ſo wohlfeil, als in Europa waͤren, und wenn endlich die Lehrer mit ſolcher Gewiſſen- haftigkeit ihren Unterricht jedem ertheilten, den ſie nur ihren vertrauteſten Freunden zu geben pflegen. — In Anſehung ihrer großen Ein- ſichten ſind ſie eben ſo prahleriſch, als alle an- dere Voͤlker. Sie ſind ſehr jalou und wollen nicht, daß die Europaͤer alle ihre Kuͤnſte wiſ- ſen, damit jene ihnen die Kuͤnſte nicht ablernen ſollen, und ſie immer einen Vorzug vor den Euro- paͤern haben moͤchten.
Ein jeder Liebhaber der Wiſſenſchaften ler- net hauptſaͤchlich dreyerley Sprachen. Erſt- lich die perſiſche, als die Hauptſprache des ganzen Reichs. Zweytens die tuͤrkiſche, drit- tens die arabiſche. Dieſe drey Sprachen kennt man nur unter ihnen. Ein jeder, der etwas vorſtellen will, muß derſelben kundig ſeyn. Selbſt das Frauenzimmer muß wenig- ſtens die beyden erſten verſtehen, dafern ſie fuͤr eine Perſon von Lebensart will gehalten ſeyn. — Der perſiſchen Sprache bedient man ſich in der Dichtkunſt, und in den Werken des Verſtandes. Das Tuͤrkiſche redet man bey der Armee, am Hofe und im Serrail der Großen. Das Arabiſche iſt fuͤr die Religion und alle abſtracten Wiſſenſchaften. Die Perſer chara- cteriſiren dieſe drey Sprachen ſo: ſie ſagen naͤmlich, die perſiſche Sprache ſey geſchickt, die
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es in Europa geſchieht, wenn ſie ſich nicht auf
Alles auf einmal legten, wenn bey ihnen die
Buͤcher ſo wohlfeil, als in Europa waͤren, und
wenn endlich die Lehrer mit ſolcher Gewiſſen-
haftigkeit ihren Unterricht jedem ertheilten, den
ſie nur ihren vertrauteſten Freunden zu geben
pflegen. — In Anſehung ihrer großen Ein-
ſichten ſind ſie eben ſo prahleriſch, als alle an-
dere Voͤlker. Sie ſind ſehr jalou und wollen
nicht, daß die Europaͤer alle ihre Kuͤnſte wiſ-
ſen, damit jene ihnen die Kuͤnſte nicht ablernen
ſollen, und ſie immer einen Vorzug vor den Euro-
paͤern haben moͤchten.
Ein jeder Liebhaber der Wiſſenſchaften ler-
net hauptſaͤchlich dreyerley Sprachen. Erſt-
lich die perſiſche, als die Hauptſprache des
ganzen Reichs. Zweytens die tuͤrkiſche, drit-
tens die arabiſche. Dieſe drey Sprachen
kennt man nur unter ihnen. Ein jeder, der
etwas vorſtellen will, muß derſelben kundig
ſeyn. Selbſt das Frauenzimmer muß wenig-
ſtens die beyden erſten verſtehen, dafern ſie fuͤr
eine Perſon von Lebensart will gehalten
ſeyn. — Der perſiſchen Sprache bedient man
ſich in der Dichtkunſt, und in den Werken des
Verſtandes. Das Tuͤrkiſche redet man bey der
Armee, am Hofe und im Serrail der Großen.
Das Arabiſche iſt fuͤr die Religion und alle
abſtracten Wiſſenſchaften. Die Perſer chara-
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naͤmlich, die perſiſche Sprache ſey geſchickt, die
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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