Man beschuldigt zwar in Europa die mo- hammedanischen Väter, daß sie ihre Töchter verkaufen: aber dieß geschieht bey den vernünf- tigen eben so wenig, als bey uns. Der Mo- hammedaner giebt freylich seine Tochter lieber einem vornehmen und reichen Mann, als einem geringern. Er bekommt alsdenn mehr Geld. Kann er es aber nur einigermaßen entbehren; so giebt er seiner Tochter eine gute Aussteuer, und diese ist dann ihr Eigenthum. Der Hey- rathskontrakt wird allezeit von dem Kady ge- schlossen, und in diesem wird nicht nur be- stimmt, wie viel der Bräutigam seiner Braut sogleich zur Aussteuer, sondern auch wie viel er seiner Frau bezahlen soll, wenn es ihm einfallen sollte, sie zu verstoßen. Es ist sehr wahrschein- lich, daß ein armer Vater bisweilen von einem reichen Schwiegersohne sehr leicht befriedigt wer- den kann. Aber nicht alle Väter verheyrathen ihre Kinder blos des Geldes wegen. Sehr oft giebt ein reicher Mann seine Tochter einem Armen, ja er schenkt diesem eine gewisse Summe, damit er seiner Braut das, in dem Heyrathskontrakt be- stimmte Antrittsgeld, in Gegenwart des Kady und anderer Zeugen bezahlen könne: und ein solcher muß es sich alsdann gemeiniglich gefallen lassen, seiner Frau auf dem Fall, da er sie ver- stoßen sollte, eine so große Summe auszusetzen, daß sie sicher ist, er werde an keine Verände- rung denken.
Weil
Man beſchuldigt zwar in Europa die mo- hammedaniſchen Vaͤter, daß ſie ihre Toͤchter verkaufen: aber dieß geſchieht bey den vernuͤnf- tigen eben ſo wenig, als bey uns. Der Mo- hammedaner giebt freylich ſeine Tochter lieber einem vornehmen und reichen Mann, als einem geringern. Er bekommt alsdenn mehr Geld. Kann er es aber nur einigermaßen entbehren; ſo giebt er ſeiner Tochter eine gute Ausſteuer, und dieſe iſt dann ihr Eigenthum. Der Hey- rathskontrakt wird allezeit von dem Kady ge- ſchloſſen, und in dieſem wird nicht nur be- ſtimmt, wie viel der Braͤutigam ſeiner Braut ſogleich zur Ausſteuer, ſondern auch wie viel er ſeiner Frau bezahlen ſoll, wenn es ihm einfallen ſollte, ſie zu verſtoßen. Es iſt ſehr wahrſchein- lich, daß ein armer Vater bisweilen von einem reichen Schwiegerſohne ſehr leicht befriedigt wer- den kann. Aber nicht alle Vaͤter verheyrathen ihre Kinder blos des Geldes wegen. Sehr oft giebt ein reicher Mann ſeine Tochter einem Armen, ja er ſchenkt dieſem eine gewiſſe Summe, damit er ſeiner Braut das, in dem Heyrathskontrakt be- ſtimmte Antrittsgeld, in Gegenwart des Kady und anderer Zeugen bezahlen koͤnne: und ein ſolcher muß es ſich alsdann gemeiniglich gefallen laſſen, ſeiner Frau auf dem Fall, da er ſie ver- ſtoßen ſollte, eine ſo große Summe auszuſetzen, daß ſie ſicher iſt, er werde an keine Veraͤnde- rung denken.
Weil
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Man beſchuldigt zwar in Europa die mo-
hammedaniſchen Vaͤter, daß ſie ihre Toͤchter
verkaufen: aber dieß geſchieht bey den vernuͤnf-
tigen eben ſo wenig, als bey uns. Der Mo-
hammedaner giebt freylich ſeine Tochter lieber
einem vornehmen und reichen Mann, als einem
geringern. Er bekommt alsdenn mehr Geld.
Kann er es aber nur einigermaßen entbehren;
ſo giebt er ſeiner Tochter eine gute Ausſteuer,
und dieſe iſt dann ihr Eigenthum. Der Hey-
rathskontrakt wird allezeit von dem Kady ge-
ſchloſſen, und in dieſem wird nicht nur be-
ſtimmt, wie viel der Braͤutigam ſeiner Braut
ſogleich zur Ausſteuer, ſondern auch wie viel er
ſeiner Frau bezahlen ſoll, wenn es ihm einfallen
ſollte, ſie zu verſtoßen. Es iſt ſehr wahrſchein-
lich, daß ein armer Vater bisweilen von einem
reichen Schwiegerſohne ſehr leicht befriedigt wer-
den kann. Aber nicht alle Vaͤter verheyrathen
ihre Kinder blos des Geldes wegen. Sehr oft
giebt ein reicher Mann ſeine Tochter einem Armen,
ja er ſchenkt dieſem eine gewiſſe Summe, damit er
ſeiner Braut das, in dem Heyrathskontrakt be-
ſtimmte Antrittsgeld, in Gegenwart des Kady
und anderer Zeugen bezahlen koͤnne: und ein
ſolcher muß es ſich alsdann gemeiniglich gefallen
laſſen, ſeiner Frau auf dem Fall, da er ſie ver-
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/236>, abgerufen am 16.02.2025.
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