wie geringe in Siam der Reichthum der Ein- wohner ist. --
Nach den siamischen Gesetzen ist es erlaubt, viele Weiber zu haben; der gemeine Mann be- dient sich aber dieser Freyheit sehr selten, und die Reichen oder Vornehmen thun es vielmehr aus Pracht als aus Wollust. Eine ist nur ei- gentlich die rechte Frau, welche man die große Frau zu nennen pflegt. Die andern sind nur Kebsweiber, die man kauft, und weil sie keine Mitgabe mitbringen, als Sclavinnen hält. Man heyrathet sie, ohne viele Cerimonien an- zustellen, und ihre Kinder, anstatt an der vä- terlichen Erbschaft Antheil zu haben, können von den Erben verkauft werden. Die Kebs- weiber, welche kleine Frauen genannt werden, können gleichfalls nach dem Tode ihres Man- nes verkauft werden. Die Kinder der recht- mäßigen, oder sogenannten großen Frau, kön- nen nur allein von ihren Eltern erben. Sie theilen das Vermögen in gleiche Portionen, ziehen aber nur erst den Genuß desselben nach dem Tode beyder Eltern. Diese Erbschaften bestehen größestentheils in beweglichen Gütern. Die Siamer kaufen selten Grundstücke, weil sie das völlige Eigenthum derselben nicht an sich bringen können, und der König ein Recht auf jedes Vermögen zu haben glaubt. Aus dieser Ursache trachten sie sehr nach Diamanten, weil man sie leicht verbergen kann. Die vornehmen Siamer vermachen dem Könige zuweilen bey
ihrem
wie geringe in Siam der Reichthum der Ein- wohner iſt. —
Nach den ſiamiſchen Geſetzen iſt es erlaubt, viele Weiber zu haben; der gemeine Mann be- dient ſich aber dieſer Freyheit ſehr ſelten, und die Reichen oder Vornehmen thun es vielmehr aus Pracht als aus Wolluſt. Eine iſt nur ei- gentlich die rechte Frau, welche man die große Frau zu nennen pflegt. Die andern ſind nur Kebsweiber, die man kauft, und weil ſie keine Mitgabe mitbringen, als Sclavinnen haͤlt. Man heyrathet ſie, ohne viele Cerimonien an- zuſtellen, und ihre Kinder, anſtatt an der vaͤ- terlichen Erbſchaft Antheil zu haben, koͤnnen von den Erben verkauft werden. Die Kebs- weiber, welche kleine Frauen genannt werden, koͤnnen gleichfalls nach dem Tode ihres Man- nes verkauft werden. Die Kinder der recht- maͤßigen, oder ſogenannten großen Frau, koͤn- nen nur allein von ihren Eltern erben. Sie theilen das Vermoͤgen in gleiche Portionen, ziehen aber nur erſt den Genuß deſſelben nach dem Tode beyder Eltern. Dieſe Erbſchaften beſtehen groͤßeſtentheils in beweglichen Guͤtern. Die Siamer kaufen ſelten Grundſtuͤcke, weil ſie das voͤllige Eigenthum derſelben nicht an ſich bringen koͤnnen, und der Koͤnig ein Recht auf jedes Vermoͤgen zu haben glaubt. Aus dieſer Urſache trachten ſie ſehr nach Diamanten, weil man ſie leicht verbergen kann. Die vornehmen Siamer vermachen dem Koͤnige zuweilen bey
ihrem
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wie geringe in Siam der Reichthum der Ein-
wohner iſt. —
Nach den ſiamiſchen Geſetzen iſt es erlaubt,
viele Weiber zu haben; der gemeine Mann be-
dient ſich aber dieſer Freyheit ſehr ſelten, und
die Reichen oder Vornehmen thun es vielmehr
aus Pracht als aus Wolluſt. Eine iſt nur ei-
gentlich die rechte Frau, welche man die große
Frau zu nennen pflegt. Die andern ſind nur
Kebsweiber, die man kauft, und weil ſie keine
Mitgabe mitbringen, als Sclavinnen haͤlt.
Man heyrathet ſie, ohne viele Cerimonien an-
zuſtellen, und ihre Kinder, anſtatt an der vaͤ-
terlichen Erbſchaft Antheil zu haben, koͤnnen
von den Erben verkauft werden. Die Kebs-
weiber, welche kleine Frauen genannt werden,
koͤnnen gleichfalls nach dem Tode ihres Man-
nes verkauft werden. Die Kinder der recht-
maͤßigen, oder ſogenannten großen Frau, koͤn-
nen nur allein von ihren Eltern erben. Sie
theilen das Vermoͤgen in gleiche Portionen,
ziehen aber nur erſt den Genuß deſſelben nach
dem Tode beyder Eltern. Dieſe Erbſchaften
beſtehen groͤßeſtentheils in beweglichen Guͤtern.
Die Siamer kaufen ſelten Grundſtuͤcke, weil
ſie das voͤllige Eigenthum derſelben nicht an ſich
bringen koͤnnen, und der Koͤnig ein Recht auf
jedes Vermoͤgen zu haben glaubt. Aus dieſer
Urſache trachten ſie ſehr nach Diamanten, weil
man ſie leicht verbergen kann. Die vornehmen
Siamer vermachen dem Koͤnige zuweilen bey
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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