Religion, beybringen, und worinn sie von der Lehre der Braminen so wenig abgehen, daß man sehr wohl schließen darf, sie hätten diese Meynung aus eben derselben Quelle geschöpft.
Nach den Grundsätzen der siamischen Got- tesgelahrheit, muß jede schwere Sünde durch Leiden gebüßt werden, und niemand kann sich von diesem Gesetze ausschließen. Die Strafe hat mit dem Verbrechen ein genaues Verhält- niß. Wenn man einen Menschen getödtet hat; so wird man wieder von einem Menschen in die- ser oder jener Welt getödtet werden. Wer eine Schlange tödtet, wird wieder durch eine Schlan- ge getödtet. Dieß Gesetz ist so unveränderlich, daß der große Sommonokhodon selbst sich nicht hat davon befreyen können. Er würde, weil er ein großes Thier getödtet, wieder durch ein solches umgebracht. Die Hölle ist die Strafe der Verbrecher von der ersten Gattung; ihre Qual ist nicht ewig, sie währt aber zuweilen sehr lange, und die Götter selbst, können sie nicht verkürzen. Sommonokhodon hat für seinen Bruder Thevathat nie Genade erhalten können, da er nunmehr über zwey Tausend Jah- re erschreckliche Marter aussteht.
Die Siamer glauben zwar Geister; es sind aber lauter Seelen, die so lange einen Leib ha- ben, bis sie zu dem Stande der Götter oder der Heiligkeit gelangen. Ja die Engel selbst haben Leiber von zweyerley Geschlecht. Sie sind auch zum Kinderzeugen tüchtig, werden aber nie Hei-
lige
Religion, beybringen, und worinn ſie von der Lehre der Braminen ſo wenig abgehen, daß man ſehr wohl ſchließen darf, ſie haͤtten dieſe Meynung aus eben derſelben Quelle geſchoͤpft.
Nach den Grundſaͤtzen der ſiamiſchen Got- tesgelahrheit, muß jede ſchwere Suͤnde durch Leiden gebuͤßt werden, und niemand kann ſich von dieſem Geſetze ausſchließen. Die Strafe hat mit dem Verbrechen ein genaues Verhaͤlt- niß. Wenn man einen Menſchen getoͤdtet hat; ſo wird man wieder von einem Menſchen in die- ſer oder jener Welt getoͤdtet werden. Wer eine Schlange toͤdtet, wird wieder durch eine Schlan- ge getoͤdtet. Dieß Geſetz iſt ſo unveraͤnderlich, daß der große Sommonokhodon ſelbſt ſich nicht hat davon befreyen koͤnnen. Er wuͤrde, weil er ein großes Thier getoͤdtet, wieder durch ein ſolches umgebracht. Die Hoͤlle iſt die Strafe der Verbrecher von der erſten Gattung; ihre Qual iſt nicht ewig, ſie waͤhrt aber zuweilen ſehr lange, und die Goͤtter ſelbſt, koͤnnen ſie nicht verkuͤrzen. Sommonokhodon hat fuͤr ſeinen Bruder Thevathat nie Genade erhalten koͤnnen, da er nunmehr uͤber zwey Tauſend Jah- re erſchreckliche Marter ausſteht.
Die Siamer glauben zwar Geiſter; es ſind aber lauter Seelen, die ſo lange einen Leib ha- ben, bis ſie zu dem Stande der Goͤtter oder der Heiligkeit gelangen. Ja die Engel ſelbſt haben Leiber von zweyerley Geſchlecht. Sie ſind auch zum Kinderzeugen tuͤchtig, werden aber nie Hei-
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Religion, beybringen, und worinn ſie von der
Lehre der Braminen ſo wenig abgehen, daß
man ſehr wohl ſchließen darf, ſie haͤtten dieſe
Meynung aus eben derſelben Quelle geſchoͤpft.
Nach den Grundſaͤtzen der ſiamiſchen Got-
tesgelahrheit, muß jede ſchwere Suͤnde durch
Leiden gebuͤßt werden, und niemand kann ſich
von dieſem Geſetze ausſchließen. Die Strafe
hat mit dem Verbrechen ein genaues Verhaͤlt-
niß. Wenn man einen Menſchen getoͤdtet hat;
ſo wird man wieder von einem Menſchen in die-
ſer oder jener Welt getoͤdtet werden. Wer eine
Schlange toͤdtet, wird wieder durch eine Schlan-
ge getoͤdtet. Dieß Geſetz iſt ſo unveraͤnderlich,
daß der große Sommonokhodon ſelbſt ſich nicht
hat davon befreyen koͤnnen. Er wuͤrde, weil
er ein großes Thier getoͤdtet, wieder durch ein
ſolches umgebracht. Die Hoͤlle iſt die Strafe
der Verbrecher von der erſten Gattung; ihre
Qual iſt nicht ewig, ſie waͤhrt aber zuweilen
ſehr lange, und die Goͤtter ſelbſt, koͤnnen ſie
nicht verkuͤrzen. Sommonokhodon hat fuͤr
ſeinen Bruder Thevathat nie Genade erhalten
koͤnnen, da er nunmehr uͤber zwey Tauſend Jah-
re erſchreckliche Marter ausſteht.
Die Siamer glauben zwar Geiſter; es ſind
aber lauter Seelen, die ſo lange einen Leib ha-
ben, bis ſie zu dem Stande der Goͤtter oder der
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Leiber von zweyerley Geſchlecht. Sie ſind auch
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/373>, abgerufen am 22.11.2024.
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