Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

die Schenkel legen. Es scheint, daß dieser
Aberglaube durch die Lehre von der Seelenwan-
derung ernährt wird.

Nach dem Einverständniß der Reisebeschrei-
ber, findet man im ganzen Orient kaum eine
Nation, welche furchtsamer und zaghafter wäre,
(die kriegerischen Rajaphuten ausgenommen)
als die Hindistaner. Ihre übrigen Tugenden
ersetzen hingegen diesen Mangel hinlänglich.
Die Baniyanen verrichten mit der größesten
Genauigkeit alle Aufträge, welche ihnen sowohl
von Einheimischen als Auäländern anvertrauet
werden. Indessen sind auch die Wise oder
Weytz, welche den vierten Stamm, oder die
vierte Hauptfamilie ausmachen, so getreu, daß
sie ihren Herren bey welchen sie sich etwa für
Dienstboten vermiethen, auf Reisen nicht das
geringste entwenden, ja für die Erhaltung sei-
ner Güter selbst ihr eigenes Leben in Gefahr
setzen. Die Leute von diesem Stamme sind
beßre Dienstboten als die mohammedanischen;
man findet bey jenen nicht den Stolz, der diese
so verächtlich macht!

Die verschiedenen Stämme der Hindistaner
werden insgesammt von einander unterschieden,
theils durch den Schnitt ihrer Bärte, theils
durch das verschiedene Bemahlen ihrer Leiber
und Stirnen, theils durch das Flechten ihrer
Turbane (die sie Tülbaet oder Tulbat ausspre-
chen). Wir wollen hier einen allgemeinen Ab-

riß

die Schenkel legen. Es ſcheint, daß dieſer
Aberglaube durch die Lehre von der Seelenwan-
derung ernaͤhrt wird.

Nach dem Einverſtaͤndniß der Reiſebeſchrei-
ber, findet man im ganzen Orient kaum eine
Nation, welche furchtſamer und zaghafter waͤre,
(die kriegeriſchen Rajaphuten ausgenommen)
als die Hindiſtaner. Ihre uͤbrigen Tugenden
erſetzen hingegen dieſen Mangel hinlaͤnglich.
Die Baniyanen verrichten mit der groͤßeſten
Genauigkeit alle Auftraͤge, welche ihnen ſowohl
von Einheimiſchen als Auaͤlaͤndern anvertrauet
werden. Indeſſen ſind auch die Wiſe oder
Weytz, welche den vierten Stamm, oder die
vierte Hauptfamilie ausmachen, ſo getreu, daß
ſie ihren Herren bey welchen ſie ſich etwa fuͤr
Dienſtboten vermiethen, auf Reiſen nicht das
geringſte entwenden, ja fuͤr die Erhaltung ſei-
ner Guͤter ſelbſt ihr eigenes Leben in Gefahr
ſetzen. Die Leute von dieſem Stamme ſind
beßre Dienſtboten als die mohammedaniſchen;
man findet bey jenen nicht den Stolz, der dieſe
ſo veraͤchtlich macht!

Die verſchiedenen Staͤmme der Hindiſtaner
werden insgeſammt von einander unterſchieden,
theils durch den Schnitt ihrer Baͤrte, theils
durch das verſchiedene Bemahlen ihrer Leiber
und Stirnen, theils durch das Flechten ihrer
Turbane (die ſie Tuͤlbaet oder Tulbat ausſpre-
chen). Wir wollen hier einen allgemeinen Ab-

riß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0404" n="378"/>
die Schenkel legen. Es &#x017F;cheint, daß die&#x017F;er<lb/>
Aberglaube durch die Lehre von der Seelenwan-<lb/>
derung erna&#x0364;hrt wird.</p><lb/>
          <p>Nach dem Einver&#x017F;ta&#x0364;ndniß der Rei&#x017F;ebe&#x017F;chrei-<lb/>
ber, findet man im ganzen Orient kaum eine<lb/>
Nation, welche furcht&#x017F;amer und zaghafter wa&#x0364;re,<lb/>
(die kriegeri&#x017F;chen Rajaphuten ausgenommen)<lb/>
als die Hindi&#x017F;taner. Ihre u&#x0364;brigen Tugenden<lb/>
er&#x017F;etzen hingegen die&#x017F;en Mangel hinla&#x0364;nglich.<lb/>
Die Baniyanen verrichten mit der gro&#x0364;ße&#x017F;ten<lb/>
Genauigkeit alle Auftra&#x0364;ge, welche ihnen &#x017F;owohl<lb/>
von Einheimi&#x017F;chen als Aua&#x0364;la&#x0364;ndern anvertrauet<lb/>
werden. Inde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind auch die <hi rendition="#fr">Wi&#x017F;e</hi> oder<lb/><hi rendition="#fr">Weytz,</hi> welche den vierten Stamm, oder die<lb/>
vierte Hauptfamilie ausmachen, &#x017F;o getreu, daß<lb/>
&#x017F;ie ihren Herren bey welchen &#x017F;ie &#x017F;ich etwa fu&#x0364;r<lb/>
Dien&#x017F;tboten vermiethen, auf Rei&#x017F;en nicht das<lb/>
gering&#x017F;te entwenden, ja fu&#x0364;r die Erhaltung &#x017F;ei-<lb/>
ner Gu&#x0364;ter &#x017F;elb&#x017F;t ihr eigenes Leben in Gefahr<lb/>
&#x017F;etzen. Die Leute von die&#x017F;em Stamme &#x017F;ind<lb/>
beßre Dien&#x017F;tboten als die mohammedani&#x017F;chen;<lb/>
man findet bey jenen nicht den Stolz, der die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;o vera&#x0364;chtlich macht!</p><lb/>
          <p>Die ver&#x017F;chiedenen Sta&#x0364;mme der Hindi&#x017F;taner<lb/>
werden insge&#x017F;ammt von einander unter&#x017F;chieden,<lb/>
theils durch den Schnitt ihrer Ba&#x0364;rte, theils<lb/>
durch das ver&#x017F;chiedene Bemahlen ihrer Leiber<lb/>
und Stirnen, theils durch das Flechten ihrer<lb/>
Turbane (die &#x017F;ie Tu&#x0364;lbaet oder Tulbat aus&#x017F;pre-<lb/>
chen). Wir wollen hier einen allgemeinen Ab-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">riß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[378/0404] die Schenkel legen. Es ſcheint, daß dieſer Aberglaube durch die Lehre von der Seelenwan- derung ernaͤhrt wird. Nach dem Einverſtaͤndniß der Reiſebeſchrei- ber, findet man im ganzen Orient kaum eine Nation, welche furchtſamer und zaghafter waͤre, (die kriegeriſchen Rajaphuten ausgenommen) als die Hindiſtaner. Ihre uͤbrigen Tugenden erſetzen hingegen dieſen Mangel hinlaͤnglich. Die Baniyanen verrichten mit der groͤßeſten Genauigkeit alle Auftraͤge, welche ihnen ſowohl von Einheimiſchen als Auaͤlaͤndern anvertrauet werden. Indeſſen ſind auch die Wiſe oder Weytz, welche den vierten Stamm, oder die vierte Hauptfamilie ausmachen, ſo getreu, daß ſie ihren Herren bey welchen ſie ſich etwa fuͤr Dienſtboten vermiethen, auf Reiſen nicht das geringſte entwenden, ja fuͤr die Erhaltung ſei- ner Guͤter ſelbſt ihr eigenes Leben in Gefahr ſetzen. Die Leute von dieſem Stamme ſind beßre Dienſtboten als die mohammedaniſchen; man findet bey jenen nicht den Stolz, der dieſe ſo veraͤchtlich macht! Die verſchiedenen Staͤmme der Hindiſtaner werden insgeſammt von einander unterſchieden, theils durch den Schnitt ihrer Baͤrte, theils durch das verſchiedene Bemahlen ihrer Leiber und Stirnen, theils durch das Flechten ihrer Turbane (die ſie Tuͤlbaet oder Tulbat ausſpre- chen). Wir wollen hier einen allgemeinen Ab- riß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/404
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/404>, abgerufen am 22.11.2024.