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Juan de Posos [i. e. Smeeks, Hendrik]: Beschreibung des Mächtigen Königreichs Krinke Kesmes. Übers. v. [N. N.]. Leipzig, 1721.

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Curieuse Reise-Beschreibung. V. Cap.
Sprüche von der Anferziehung, die von
dem Frauenzimmer von Wonvure
an den Garbon gesandt
worden.

Die Erziehung ist bey dem Menschen meist
Ursach an dem, was gut oder böse, löblich
oder unlöblich ist. Ein Jeder ist gegen die-
selbe verpflichtet, der Glaube und die Ver-
nunfft. Sie macht uns wüste und wild, als
ein wildes Thier, und auch einfältig, als eine
Taube. Sie giebt einem solche kräfftige Ein-
drückungen, daß man sich der Vorurtheile un-
möglich entschlagen kan; oder von dem Aber-
glauben, so man in der Kindheit gelernet, und
mit unserm Wachsthum eingesogen haben.

Wir saugen unsre meiste Meinungen mit
der Mutter-Milch ein, und dieses macht offt
durch die Erziehung unveränderliche Wur-
tzeln.

Da ist fast nichts so kräfftig, welches die
Eindrückungen in unsern jungen Jahren verän-
dern solte, oder die Maniren zu verwandeln, in
welchen wir von unserer Kindheit an auferzogen
worden. Ja man ist der Erziehung die Krafft
des Glaubens und der Religion schuldig.

Die Erziehung macht alle Menschen par-
theyisch, und die Glaubens-Puncta muß man
an selbige binden.

Wir gebrauchen die Vorurtheile unserer

Erzie-
G 4
Curieuſe Reiſe-Beſchreibung. V. Cap.
Spruͤche von der Anferziehung, die von
dem Frauenzimmer von Wonvure
an den Garbon geſandt
worden.

Die Erziehung iſt bey dem Menſchen meiſt
Urſach an dem, was gut oder boͤſe, loͤblich
oder unloͤblich iſt. Ein Jeder iſt gegen die-
ſelbe verpflichtet, der Glaube und die Ver-
nunfft. Sie macht uns wuͤſte und wild, als
ein wildes Thier, und auch einfaͤltig, als eine
Taube. Sie giebt einem ſolche kraͤfftige Ein-
druͤckungen, daß man ſich der Vorurtheile un-
moͤglich entſchlagen kan; oder von dem Aber-
glauben, ſo man in der Kindheit gelernet, und
mit unſerm Wachsthum eingeſogen haben.

Wir ſaugen unſre meiſte Meinungen mit
der Mutter-Milch ein, und dieſes macht offt
durch die Erziehung unveraͤnderliche Wur-
tzeln.

Da iſt faſt nichts ſo kraͤfftig, welches die
Eindruͤckungen in unſern jungen Jahren veraͤn-
dern ſolte, oder die Maniren zu verwandeln, in
welchen wir von unſerer Kindheit an auferzogen
worden. Ja man iſt der Erziehung die Krafft
des Glaubens und der Religion ſchuldig.

Die Erziehung macht alle Menſchen par-
theyiſch, und die Glaubens-Puncta muß man
an ſelbige binden.

Wir gebrauchen die Vorurtheile unſerer

Erzie-
G 4
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[103/0127] Curieuſe Reiſe-Beſchreibung. V. Cap. Spruͤche von der Anferziehung, die von dem Frauenzimmer von Wonvure an den Garbon geſandt worden. Die Erziehung iſt bey dem Menſchen meiſt Urſach an dem, was gut oder boͤſe, loͤblich oder unloͤblich iſt. Ein Jeder iſt gegen die- ſelbe verpflichtet, der Glaube und die Ver- nunfft. Sie macht uns wuͤſte und wild, als ein wildes Thier, und auch einfaͤltig, als eine Taube. Sie giebt einem ſolche kraͤfftige Ein- druͤckungen, daß man ſich der Vorurtheile un- moͤglich entſchlagen kan; oder von dem Aber- glauben, ſo man in der Kindheit gelernet, und mit unſerm Wachsthum eingeſogen haben. Wir ſaugen unſre meiſte Meinungen mit der Mutter-Milch ein, und dieſes macht offt durch die Erziehung unveraͤnderliche Wur- tzeln. Da iſt faſt nichts ſo kraͤfftig, welches die Eindruͤckungen in unſern jungen Jahren veraͤn- dern ſolte, oder die Maniren zu verwandeln, in welchen wir von unſerer Kindheit an auferzogen worden. Ja man iſt der Erziehung die Krafft des Glaubens und der Religion ſchuldig. Die Erziehung macht alle Menſchen par- theyiſch, und die Glaubens-Puncta muß man an ſelbige binden. Wir gebrauchen die Vorurtheile unſerer Erzie- G 4

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Zitationshilfe: Juan de Posos [i. e. Smeeks, Hendrik]: Beschreibung des Mächtigen Königreichs Krinke Kesmes. Übers. v. [N. N.]. Leipzig, 1721, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/posos_krinkekesmes_1721/127>, abgerufen am 23.11.2024.