mich hier in Bethgellert wieder zwingen, den Kamin zur Trockenanstalt zu benutzen. Gar anmuthig ist der unter hohen Bäumen völlig versteckte Gasthof, in dem ich ruhe. Nur vor meinem Fenster grünt eine frisch gemähte Wiese, und dahinter brüstet sich ein ungethümer Berg, von oben bis unten mit hoch- rother Erica bedeckt, die, ohngeachtet des Streifre- gens und des bedeckten Himmels, wie das Morgen- roth leuchtet. Indeß man mein Mittagsessen bereitet (denn ich esse heute, wie Suwaroff, früh 8 Uhr zu Mittag) spielt ein Harfner, bescheidnes Ueberbleibsel der welschen Barden, originelle Weisen auf seinem uralten Instrument. Er ist blind, und auch sein Hund ist blind, der unermüdlich aufwartend neben ihm auf den Hinterbeinen steht, bis man seinem Herrn ein Stück Geld und ihm ein Stückchen Brod gespendet. Beth Gellert heißt Gellerts Grab, denn Bett und Grab wird poetisch in der welschen Sprache durch dasselbe Wort ausgedrückt. Daß hier nicht von dem deutschen Prosaiker die Rede ist, hat Dein Scharfsinn ohne Zweifel schon errathen, es handelt sich ganz im Gegentheil nur um die Ruhestätte ei- nes Windhundes, dessen Geschichte aber so rührend ist, daß ich sie Dir erzählen will, sobald mein dejeune dinatoire wieder abgetragen seyn wird, denn die Angst auf dem behexten Felsen hat mich verzweifelt hungrig gemacht.
mich hier in Bethgellert wieder zwingen, den Kamin zur Trockenanſtalt zu benutzen. Gar anmuthig iſt der unter hohen Bäumen völlig verſteckte Gaſthof, in dem ich ruhe. Nur vor meinem Fenſter grünt eine friſch gemähte Wieſe, und dahinter brüſtet ſich ein ungethümer Berg, von oben bis unten mit hoch- rother Erica bedeckt, die, ohngeachtet des Streifre- gens und des bedeckten Himmels, wie das Morgen- roth leuchtet. Indeß man mein Mittagseſſen bereitet (denn ich eſſe heute, wie Suwaroff, früh 8 Uhr zu Mittag) ſpielt ein Harfner, beſcheidnes Ueberbleibſel der welſchen Barden, originelle Weiſen auf ſeinem uralten Inſtrument. Er iſt blind, und auch ſein Hund iſt blind, der unermüdlich aufwartend neben ihm auf den Hinterbeinen ſteht, bis man ſeinem Herrn ein Stück Geld und ihm ein Stückchen Brod geſpendet. Beth Gellert heißt Gellerts Grab, denn Bett und Grab wird poetiſch in der welſchen Sprache durch daſſelbe Wort ausgedrückt. Daß hier nicht von dem deutſchen Proſaiker die Rede iſt, hat Dein Scharfſinn ohne Zweifel ſchon errathen, es handelt ſich ganz im Gegentheil nur um die Ruheſtätte ei- nes Windhundes, deſſen Geſchichte aber ſo rührend iſt, daß ich ſie Dir erzählen will, ſobald mein déjeuné dinatoire wieder abgetragen ſeyn wird, denn die Angſt auf dem behexten Felſen hat mich verzweifelt hungrig gemacht.
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mich hier in Bethgellert wieder zwingen, den Kamin
zur Trockenanſtalt zu benutzen. Gar anmuthig iſt
der unter hohen Bäumen völlig verſteckte Gaſthof,
in dem ich ruhe. Nur vor meinem Fenſter grünt
eine friſch gemähte Wieſe, und dahinter brüſtet ſich
ein ungethümer Berg, von oben bis unten mit hoch-
rother Erica bedeckt, die, ohngeachtet des Streifre-
gens und des bedeckten Himmels, wie das Morgen-
roth leuchtet. Indeß man mein Mittagseſſen bereitet
(denn ich eſſe heute, wie Suwaroff, früh 8 Uhr zu
Mittag) ſpielt ein Harfner, beſcheidnes Ueberbleibſel
der welſchen Barden, originelle Weiſen auf ſeinem
uralten Inſtrument. Er iſt blind, und auch ſein
Hund iſt blind, der unermüdlich aufwartend neben
ihm auf den Hinterbeinen ſteht, bis man ſeinem
Herrn ein Stück Geld und ihm ein Stückchen Brod
geſpendet. Beth Gellert heißt Gellerts Grab, denn
Bett und Grab wird poetiſch in der welſchen Sprache
durch daſſelbe Wort ausgedrückt. Daß hier nicht
von dem deutſchen Proſaiker die Rede iſt, hat Dein
Scharfſinn ohne Zweifel ſchon errathen, es handelt
ſich ganz im Gegentheil nur um die Ruheſtätte ei-
nes Windhundes, deſſen Geſchichte aber ſo rührend
iſt, daß ich ſie Dir erzählen will, ſobald mein
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/143>, abgerufen am 24.11.2024.
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