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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Parthei, durch dick und dünn, verständig und unver-
ständig, immer gleich unverrückt folgen, weil es ihre
Parthei ist, oder einer Gewohnheit immerfort scla-
visch sich unterwerfen, weil es so bei ihnen üblich
ist -- betrachten sie auch die Religion, ohne alle Poe-
sie, ganz aus demselben Gesichtspunkt, gehen Sonn-
tags eben so ohnfehlbar in die Kirche, als sie täglich
eine frische Toilette machen, um sich zu Tisch zu se-
tzen, und schätzen den, welcher die Kirche vernachläs-
sigt, fast eben so gering, als Jemand, der Fisch mit
dem Messer ißt.*)

Begleitet von dem jungen Theologen, der eine Zeit
lang denselben Weg mit mir verfolgte, verließ ich
am andern Morgen Bray schon früh um 5 Uhr. In
einer ausgezeichnet schönen Gegend passirten wir Kil-
ruddery, ein neugebautes Schloß des Grafen Meath,
im Geschmack der Häuser aus den Zeiten der Köni-
gin Elisabeth, welches aber, um einen guten Effect
zu machen, größere Massen verlangt hätte. Der Park
ist nicht sehr ausgedehnt, lang und schmal, die alt-
französischen Gärten werden gerühmt, wir wurden
aber, wahrscheinlich unsres bescheidenen Aufzugs we-
gen, sehr unhöflich abgewiesen als wir sie zu sehen
wünschten. In England ist dies etwas Gewöhnli-

*) Gemeine Engländer führen das breite Messer gleich
einer Gabel zum Munde. Die Gebildeteren dagegen
halten solches für eine wahre Sünde gegen den heili-
gen Geist, und kreuzigen sich innerlich, wenn sie z. B.
einen deutschen Gesandten so essen sehen. Es ist hin-
länglich ihnen die ganze Nation zu verleiden.

Parthei, durch dick und dünn, verſtändig und unver-
ſtändig, immer gleich unverrückt folgen, weil es ihre
Parthei iſt, oder einer Gewohnheit immerfort ſcla-
viſch ſich unterwerfen, weil es ſo bei ihnen üblich
iſt — betrachten ſie auch die Religion, ohne alle Poe-
ſie, ganz aus demſelben Geſichtspunkt, gehen Sonn-
tags eben ſo ohnfehlbar in die Kirche, als ſie täglich
eine friſche Toilette machen, um ſich zu Tiſch zu ſe-
tzen, und ſchätzen den, welcher die Kirche vernachläſ-
ſigt, faſt eben ſo gering, als Jemand, der Fiſch mit
dem Meſſer ißt.*)

Begleitet von dem jungen Theologen, der eine Zeit
lang denſelben Weg mit mir verfolgte, verließ ich
am andern Morgen Bray ſchon früh um 5 Uhr. In
einer ausgezeichnet ſchönen Gegend paſſirten wir Kil-
ruddery, ein neugebautes Schloß des Grafen Meath,
im Geſchmack der Häuſer aus den Zeiten der Köni-
gin Eliſabeth, welches aber, um einen guten Effect
zu machen, größere Maſſen verlangt hätte. Der Park
iſt nicht ſehr ausgedehnt, lang und ſchmal, die alt-
franzöſiſchen Gärten werden gerühmt, wir wurden
aber, wahrſcheinlich unſres beſcheidenen Aufzugs we-
gen, ſehr unhöflich abgewieſen als wir ſie zu ſehen
wünſchten. In England iſt dies etwas Gewöhnli-

*) Gemeine Engländer führen das breite Meſſer gleich
einer Gabel zum Munde. Die Gebildeteren dagegen
halten ſolches für eine wahre Sünde gegen den heili-
gen Geiſt, und kreuzigen ſich innerlich, wenn ſie z. B.
einen deutſchen Geſandten ſo eſſen ſehen. Es iſt hin-
länglich ihnen die ganze Nation zu verleiden.
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[178/0202] Parthei, durch dick und dünn, verſtändig und unver- ſtändig, immer gleich unverrückt folgen, weil es ihre Parthei iſt, oder einer Gewohnheit immerfort ſcla- viſch ſich unterwerfen, weil es ſo bei ihnen üblich iſt — betrachten ſie auch die Religion, ohne alle Poe- ſie, ganz aus demſelben Geſichtspunkt, gehen Sonn- tags eben ſo ohnfehlbar in die Kirche, als ſie täglich eine friſche Toilette machen, um ſich zu Tiſch zu ſe- tzen, und ſchätzen den, welcher die Kirche vernachläſ- ſigt, faſt eben ſo gering, als Jemand, der Fiſch mit dem Meſſer ißt. *) Begleitet von dem jungen Theologen, der eine Zeit lang denſelben Weg mit mir verfolgte, verließ ich am andern Morgen Bray ſchon früh um 5 Uhr. In einer ausgezeichnet ſchönen Gegend paſſirten wir Kil- ruddery, ein neugebautes Schloß des Grafen Meath, im Geſchmack der Häuſer aus den Zeiten der Köni- gin Eliſabeth, welches aber, um einen guten Effect zu machen, größere Maſſen verlangt hätte. Der Park iſt nicht ſehr ausgedehnt, lang und ſchmal, die alt- franzöſiſchen Gärten werden gerühmt, wir wurden aber, wahrſcheinlich unſres beſcheidenen Aufzugs we- gen, ſehr unhöflich abgewieſen als wir ſie zu ſehen wünſchten. In England iſt dies etwas Gewöhnli- *) Gemeine Engländer führen das breite Meſſer gleich einer Gabel zum Munde. Die Gebildeteren dagegen halten ſolches für eine wahre Sünde gegen den heili- gen Geiſt, und kreuzigen ſich innerlich, wenn ſie z. B. einen deutſchen Geſandten ſo eſſen ſehen. Es iſt hin- länglich ihnen die ganze Nation zu verleiden.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/202>, abgerufen am 24.11.2024.