Nacht. Die schwarzen Wellen wühlten geschäftig un- ter sich, hie und da nur kräuselte sich blendend wei- ßer Schaum auf ihrem Rücken. Da die Wogen fast so hoch gingen wie im Meere, bekam ich eine leichte Anwandlung von Seekrankheit. Der Fabrikant er- blaßte vor der Gefahr, der junge Engländer aber, stolz auf seine Amphibiennatur, lachte uns beide aus. Der Sturm pfiff indessen so laut, daß wir uns kaum verstehen konnten, und als ich den alten Steuermann fragte, wohin wir zuerst fahren würden, antwortete er: Nach der Abtei, wenn wir anders hinkommen! Dies klang nicht sehr encourageant, auch tanzte unser Boot (das einzige auf dem See, denn selbst die Fi- scher hatten sich nicht herausgewagt) so schrecklich auf und nieder, ohne doch mit aller Anstrengung der Ru- derer avanciren zu können, daß der Fabrikant an Weib, Kind und Fabrik zu denken anfing, und peremtorisch die Rückfahrt verlangte, da er nicht die Absicht habe, auf einer Erholungsreise sein Leben zu verlieren. Der Dandy wollte sich dagegen vor Lachen ausschüt- ten, versicherte, er sey ein Mitglied des Yacht-Clubs und habe ganz andere Dinge erlebt, wobei er den Ruderern, die ebenfalls lieber zu Haus gewesen wä- ren, Geld über Geld versprach, um auszuhalten. Was mich betraf, so folgte ich der Maxime des Generals Yermoloff: "weder zu rasch noch zu furchtsam," mischte mich gar nicht in den Streit, sondern erwartete, dicht in meinen Mantel gehüllt, ruhig den Ausgang. Ich genoß übrigens, wie es schien, allein die Schönheit der Scene, da den einen meiner Begleiter die Furcht
Nacht. Die ſchwarzen Wellen wühlten geſchäftig un- ter ſich, hie und da nur kräuſelte ſich blendend wei- ßer Schaum auf ihrem Rücken. Da die Wogen faſt ſo hoch gingen wie im Meere, bekam ich eine leichte Anwandlung von Seekrankheit. Der Fabrikant er- blaßte vor der Gefahr, der junge Engländer aber, ſtolz auf ſeine Amphibiennatur, lachte uns beide aus. Der Sturm pfiff indeſſen ſo laut, daß wir uns kaum verſtehen konnten, und als ich den alten Steuermann fragte, wohin wir zuerſt fahren würden, antwortete er: Nach der Abtei, wenn wir anders hinkommen! Dies klang nicht ſehr encourageant, auch tanzte unſer Boot (das einzige auf dem See, denn ſelbſt die Fi- ſcher hatten ſich nicht herausgewagt) ſo ſchrecklich auf und nieder, ohne doch mit aller Anſtrengung der Ru- derer avanciren zu können, daß der Fabrikant an Weib, Kind und Fabrik zu denken anfing, und peremtoriſch die Rückfahrt verlangte, da er nicht die Abſicht habe, auf einer Erholungsreiſe ſein Leben zu verlieren. Der Dandy wollte ſich dagegen vor Lachen ausſchüt- ten, verſicherte, er ſey ein Mitglied des Yacht-Clubs und habe ganz andere Dinge erlebt, wobei er den Ruderern, die ebenfalls lieber zu Haus geweſen wä- ren, Geld über Geld verſprach, um auszuhalten. Was mich betraf, ſo folgte ich der Maxime des Generals Yermoloff: „weder zu raſch noch zu furchtſam,“ miſchte mich gar nicht in den Streit, ſondern erwartete, dicht in meinen Mantel gehüllt, ruhig den Ausgang. Ich genoß übrigens, wie es ſchien, allein die Schönheit der Scene, da den einen meiner Begleiter die Furcht
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Nacht. Die ſchwarzen Wellen wühlten geſchäftig un-
ter ſich, hie und da nur kräuſelte ſich blendend wei-
ßer Schaum auf ihrem Rücken. Da die Wogen faſt
ſo hoch gingen wie im Meere, bekam ich eine leichte
Anwandlung von Seekrankheit. Der Fabrikant er-
blaßte vor der Gefahr, der junge Engländer aber,
ſtolz auf ſeine Amphibiennatur, lachte uns beide aus.
Der Sturm pfiff indeſſen ſo laut, daß wir uns kaum
verſtehen konnten, und als ich den alten Steuermann
fragte, wohin wir zuerſt fahren würden, antwortete
er: Nach der Abtei, wenn wir anders hinkommen!
Dies klang nicht ſehr encourageant, auch tanzte unſer
Boot (das einzige auf dem See, denn ſelbſt die Fi-
ſcher hatten ſich nicht herausgewagt) ſo ſchrecklich auf
und nieder, ohne doch mit aller Anſtrengung der Ru-
derer avanciren zu können, daß der Fabrikant an Weib,
Kind und Fabrik zu denken anfing, und peremtoriſch
die Rückfahrt verlangte, da er nicht die Abſicht habe,
auf einer Erholungsreiſe ſein Leben zu verlieren.
Der Dandy wollte ſich dagegen vor Lachen ausſchüt-
ten, verſicherte, er ſey ein Mitglied des Yacht-Clubs
und habe ganz andere Dinge erlebt, wobei er den
Ruderern, die ebenfalls lieber zu Haus geweſen wä-
ren, Geld über Geld verſprach, um auszuhalten. Was
mich betraf, ſo folgte ich der Maxime des Generals
Yermoloff: „weder zu raſch noch zu furchtſam,“ miſchte
mich gar nicht in den Streit, ſondern erwartete, dicht
in meinen Mantel gehüllt, ruhig den Ausgang. Ich
genoß übrigens, wie es ſchien, allein die Schönheit
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/316>, abgerufen am 27.11.2024.
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