Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

In Vielem muß ich B ... H ... beistimmen, ob
aber seine sanguinischen Hoffnungen sich sobald, oder
überhaupt auf dieser Erde realisiren möchten, ist eine
andere Frage. Daß jesuitische Grundsätze nicht mehr
die Welt regieren werden, und daß Freiheit der Presse,
wenn sie erhalten wird, unberechenbare Wunder thut
und thun muß -- das bin ich wohl überzeugt, aber
Menschen werden dennoch Menschen bleiben, und
folglich die Mächte der Gewalt und List immer,
fürchte ich, allgemeiner herrschen als die Kraft der
Vernunft.

Mit Vater Lestrange besuchte ich Vormittags die
Gerichtshöfe, um den militairischen O' Connel in der
gepuderten Allongenperücke, schwarzem Talar und
Bäffchen plaidiren zu sehen, und ging nachher in die
Association, um dort den großen Agitator wieder in
einer ganz andern Gestalt zu beobachten. Die Si-
tzung war heute sehr stürmisch. Herr L ... s sprach
wie ein Verwirrter, und griff selbst O' Connel so stark
an, daß dieser fast seine gewohnte Dignität darüber
verlor. Er hielt dann zwar eine vortreffliche Gegen-
rede, baschte jedoch zu sehr nach Witz, der zuweilen
auch nicht vom besten Geschmack war. Später spra-
chen zehne zugleich, der Sekretair rief zur Ordnung,
hatte aber nicht Autorität genug, sich Gehorsam zu
verschaffen. Kurzum, die Scene ward etwas unschick-
lich, bis zuletzt ein hübscher junger Mann, mit un-
geheurem Bart und in outrirter Kleidung (der Dan-
dy der Association, wie L .... s ihr Don Quixotte),

In Vielem muß ich B … H … beiſtimmen, ob
aber ſeine ſanguiniſchen Hoffnungen ſich ſobald, oder
überhaupt auf dieſer Erde realiſiren möchten, iſt eine
andere Frage. Daß jeſuitiſche Grundſätze nicht mehr
die Welt regieren werden, und daß Freiheit der Preſſe,
wenn ſie erhalten wird, unberechenbare Wunder thut
und thun muß — das bin ich wohl überzeugt, aber
Menſchen werden dennoch Menſchen bleiben, und
folglich die Mächte der Gewalt und Liſt immer,
fürchte ich, allgemeiner herrſchen als die Kraft der
Vernunft.

Mit Vater Leſtrange beſuchte ich Vormittags die
Gerichtshöfe, um den militairiſchen O’ Connel in der
gepuderten Allongenperücke, ſchwarzem Talar und
Bäffchen plaidiren zu ſehen, und ging nachher in die
Aſſociation, um dort den großen Agitator wieder in
einer ganz andern Geſtalt zu beobachten. Die Si-
tzung war heute ſehr ſtürmiſch. Herr L … s ſprach
wie ein Verwirrter, und griff ſelbſt O’ Connel ſo ſtark
an, daß dieſer faſt ſeine gewohnte Dignität darüber
verlor. Er hielt dann zwar eine vortreffliche Gegen-
rede, baſchte jedoch zu ſehr nach Witz, der zuweilen
auch nicht vom beſten Geſchmack war. Später ſpra-
chen zehne zugleich, der Sekretair rief zur Ordnung,
hatte aber nicht Autorität genug, ſich Gehorſam zu
verſchaffen. Kurzum, die Scene ward etwas unſchick-
lich, bis zuletzt ein hübſcher junger Mann, mit un-
geheurem Bart und in outrirter Kleidung (der Dan-
dy der Aſſociation, wie L .... s ihr Don Quixotte),

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0218" n="196"/>
        <p>In Vielem muß ich B &#x2026; H &#x2026; bei&#x017F;timmen, ob<lb/>
aber &#x017F;eine &#x017F;anguini&#x017F;chen Hoffnungen &#x017F;ich &#x017F;obald, oder<lb/>
überhaupt auf die&#x017F;er Erde reali&#x017F;iren möchten, i&#x017F;t eine<lb/>
andere Frage. Daß je&#x017F;uiti&#x017F;che Grund&#x017F;ätze nicht mehr<lb/>
die Welt regieren werden, und daß Freiheit der Pre&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
wenn &#x017F;ie erhalten wird, unberechenbare Wunder thut<lb/>
und thun muß &#x2014; das bin ich wohl überzeugt, aber<lb/>
Men&#x017F;chen werden dennoch Men&#x017F;chen bleiben, und<lb/>
folglich die Mächte der Gewalt und Li&#x017F;t immer,<lb/>
fürchte ich, allgemeiner herr&#x017F;chen als die Kraft der<lb/>
Vernunft.</p><lb/>
        <p>Mit Vater Le&#x017F;trange be&#x017F;uchte ich Vormittags die<lb/>
Gerichtshöfe, um den militairi&#x017F;chen O&#x2019; Connel in der<lb/>
gepuderten Allongenperücke, &#x017F;chwarzem Talar und<lb/>
Bäffchen plaidiren zu &#x017F;ehen, und ging nachher in die<lb/>
A&#x017F;&#x017F;ociation, um dort den großen Agitator wieder in<lb/>
einer ganz andern Ge&#x017F;talt zu beobachten. Die Si-<lb/>
tzung war heute &#x017F;ehr &#x017F;türmi&#x017F;ch. Herr L &#x2026; s &#x017F;prach<lb/>
wie ein Verwirrter, und griff &#x017F;elb&#x017F;t O&#x2019; Connel &#x017F;o &#x017F;tark<lb/>
an, daß die&#x017F;er fa&#x017F;t &#x017F;eine gewohnte Dignität darüber<lb/>
verlor. Er hielt dann zwar eine vortreffliche Gegen-<lb/>
rede, ba&#x017F;chte jedoch zu &#x017F;ehr nach Witz, der zuweilen<lb/>
auch nicht vom be&#x017F;ten Ge&#x017F;chmack war. Später &#x017F;pra-<lb/>
chen zehne zugleich, der Sekretair rief zur Ordnung,<lb/>
hatte aber nicht <choice><sic>Autorita&#x0307;t</sic><corr>Autorität</corr></choice> genug, &#x017F;ich Gehor&#x017F;am zu<lb/>
ver&#x017F;chaffen. Kurzum, die Scene ward etwas un&#x017F;chick-<lb/>
lich, bis zuletzt ein hüb&#x017F;cher junger Mann, mit un-<lb/>
geheurem Bart und in outrirter Kleidung (der Dan-<lb/>
dy der A&#x017F;&#x017F;ociation, wie L .... s ihr Don Quixotte),<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0218] In Vielem muß ich B … H … beiſtimmen, ob aber ſeine ſanguiniſchen Hoffnungen ſich ſobald, oder überhaupt auf dieſer Erde realiſiren möchten, iſt eine andere Frage. Daß jeſuitiſche Grundſätze nicht mehr die Welt regieren werden, und daß Freiheit der Preſſe, wenn ſie erhalten wird, unberechenbare Wunder thut und thun muß — das bin ich wohl überzeugt, aber Menſchen werden dennoch Menſchen bleiben, und folglich die Mächte der Gewalt und Liſt immer, fürchte ich, allgemeiner herrſchen als die Kraft der Vernunft. Mit Vater Leſtrange beſuchte ich Vormittags die Gerichtshöfe, um den militairiſchen O’ Connel in der gepuderten Allongenperücke, ſchwarzem Talar und Bäffchen plaidiren zu ſehen, und ging nachher in die Aſſociation, um dort den großen Agitator wieder in einer ganz andern Geſtalt zu beobachten. Die Si- tzung war heute ſehr ſtürmiſch. Herr L … s ſprach wie ein Verwirrter, und griff ſelbſt O’ Connel ſo ſtark an, daß dieſer faſt ſeine gewohnte Dignität darüber verlor. Er hielt dann zwar eine vortreffliche Gegen- rede, baſchte jedoch zu ſehr nach Witz, der zuweilen auch nicht vom beſten Geſchmack war. Später ſpra- chen zehne zugleich, der Sekretair rief zur Ordnung, hatte aber nicht Autorität genug, ſich Gehorſam zu verſchaffen. Kurzum, die Scene ward etwas unſchick- lich, bis zuletzt ein hübſcher junger Mann, mit un- geheurem Bart und in outrirter Kleidung (der Dan- dy der Aſſociation, wie L .... s ihr Don Quixotte),

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/218
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/218>, abgerufen am 22.11.2024.