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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Großes von ihnen selbst ausgehen können, denn in
diesem Falle ist ihnen der mannichfaltigste großartige
Stoff, und mit ihm der Enthusiasmus, dessen sie
bedürfen, schon gegeben und fixirt. Es ist auch
nichts völlig Neues, Schwankendes, Ungewisses erst
zu gründen, das unter ihnen Liegende nur mit
künstlerischem Scharfsinn aufs Höehste zu benutzen,
zu verbessern, zu erheben, zu verschönern. -- Hier
wird dann ihr genialer Blick, von tausend ausfüh-
renden Köpfen und Händen unterstützt, und durch
das innere poetische Auge gekräftigt, von der Höhe,
ihrem eigentlichen Element, weiter tragen, als der
gewöhnlicher Naturen. -- Am Fuße und Rande des
Berges aber hilft ihnen die Schärfe dieses Blickes
nichts, weil ihr Horizont dort verdeckt ist, und hin-
auf, zum mühvollen Klimmen, tragen die indolen-
ten Glieder sie nicht, noch können sie den gaukelnden
Gestalten widerstehen, die sie unterwegs bald dahin,
bald dorthin, von ihrem Pfade verlocken. Sie leben
und sterben daher am Berge, ohne je seinen Gipfel
zu erreichen, folglich ihrer eignen Kraft ganz inne
geworden zu seyn. Bei einem Menschen dieser Art
kann man das bekannte Wort umdrehen, und mit
Recht sagen: Tel brille au premier rang, qui
s'celipse au second
.


Großes von ihnen ſelbſt ausgehen können, denn in
dieſem Falle iſt ihnen der mannichfaltigſte großartige
Stoff, und mit ihm der Enthuſiasmus, deſſen ſie
bedürfen, ſchon gegeben und fixirt. Es iſt auch
nichts völlig Neues, Schwankendes, Ungewiſſes erſt
zu gründen, das unter ihnen Liegende nur mit
künſtleriſchem Scharfſinn aufs Höehſte zu benutzen,
zu verbeſſern, zu erheben, zu verſchönern. — Hier
wird dann ihr genialer Blick, von tauſend ausfüh-
renden Köpfen und Händen unterſtützt, und durch
das innere poetiſche Auge gekräftigt, von der Höhe,
ihrem eigentlichen Element, weiter tragen, als der
gewöhnlicher Naturen. — Am Fuße und Rande des
Berges aber hilft ihnen die Schärfe dieſes Blickes
nichts, weil ihr Horizont dort verdeckt iſt, und hin-
auf, zum mühvollen Klimmen, tragen die indolen-
ten Glieder ſie nicht, noch können ſie den gaukelnden
Geſtalten widerſtehen, die ſie unterwegs bald dahin,
bald dorthin, von ihrem Pfade verlocken. Sie leben
und ſterben daher am Berge, ohne je ſeinen Gipfel
zu erreichen, folglich ihrer eignen Kraft ganz inne
geworden zu ſeyn. Bei einem Menſchen dieſer Art
kann man das bekannte Wort umdrehen, und mit
Recht ſagen: Tel brille au premier rang, qui
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[217/0239] Großes von ihnen ſelbſt ausgehen können, denn in dieſem Falle iſt ihnen der mannichfaltigſte großartige Stoff, und mit ihm der Enthuſiasmus, deſſen ſie bedürfen, ſchon gegeben und fixirt. Es iſt auch nichts völlig Neues, Schwankendes, Ungewiſſes erſt zu gründen, das unter ihnen Liegende nur mit künſtleriſchem Scharfſinn aufs Höehſte zu benutzen, zu verbeſſern, zu erheben, zu verſchönern. — Hier wird dann ihr genialer Blick, von tauſend ausfüh- renden Köpfen und Händen unterſtützt, und durch das innere poetiſche Auge gekräftigt, von der Höhe, ihrem eigentlichen Element, weiter tragen, als der gewöhnlicher Naturen. — Am Fuße und Rande des Berges aber hilft ihnen die Schärfe dieſes Blickes nichts, weil ihr Horizont dort verdeckt iſt, und hin- auf, zum mühvollen Klimmen, tragen die indolen- ten Glieder ſie nicht, noch können ſie den gaukelnden Geſtalten widerſtehen, die ſie unterwegs bald dahin, bald dorthin, von ihrem Pfade verlocken. Sie leben und ſterben daher am Berge, ohne je ſeinen Gipfel zu erreichen, folglich ihrer eignen Kraft ganz inne geworden zu ſeyn. Bei einem Menſchen dieſer Art kann man das bekannte Wort umdrehen, und mit Recht ſagen: Tel brille au premier rang, qui s’celipse au second.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/239>, abgerufen am 22.11.2024.